Schule update – Ein Erfahrungsbericht aus der Gottfried-Kinkel-Grundschule in Bonn

16.03. bis 19.04.2020

Freitag der 13.03.2020 wird als historischer Tag in die Geschichte des Landes NRW eingehen. An diesem Tag beschloss die Landesregierung aufgrund des Corona Virus die Schulen zu schließen. Gab es nun ‚Coronaferien‘, Homeschooling oder etwas ganz anderes?
An der Offenen Ganztagsgrundschule Gottfried Kinkel gab es für uns auf der Grundlage unseres bisherigen Bildungsverständnisses und Ganztagsschulkonzeptes vier Schwerpunkte in dieser besonderen Situation:

a) Wir halten Kontakt untereinander (Lehrkräfte und sozialpädagogische Fachkräfte), mit den Eltern und vor allem mit den Kindern und gewährleisten damit weiterhin ein beziehungsreiches Lernen.
b) Wir nehmen allen Beteiligten den Leistungsdruck und bieten offene Lernangebote passend zu den verschiedenen Bildungsbereichen der Bildungsgrundsätze des Landes NRW und zu den Vorgaben des MSB.
c) Wir führen das selbständige Lernen der Kinder fort und lassen sie an der Entwicklung eigener kreativer Aufgaben für diese Zeit zu Hause partizipieren.
d) Als Schulgemeinschaft treffen wir Maßnahmen für Kinder in belastenden familiären Situationen, damit für sie diese Zeit möglichst nicht zum Nachteil wird.

Das Gesamtteam der OGS Gottfried Kinkel (Lehrkräfte und sozialpädagogische Fachkräfte) nahm schnell und verantwortlich diese neue Situation auf. Wir sind im Dienst und große Arbeitspakete in Papierform zum Erarbeiten neuer Inhalte für drei Wochen bzw. seitenweises Abarbeiten von Heften kam für uns nicht in Frage. Unser Ziel war es, unser bisheriges beziehungsorientiertes, individuelles und handlungsorientiertes Lernen auf die neue herausfordernde Situation zu übertragen. Dafür fanden wir in den Möglichkeiten der Digitalisierung Lösungen. In vielen Klassen wurde eine Klassenpost regelmäßig per Mail verschickt. Dort schilderten die Kinder ihre Lernerfahrungen und Erlebnisse zu Hause in Geschichten, Ideen, Lernprodukten und Bildern. Es wurden Wettbewerbe ausgeschrieben, u.a. wer schafft es am längsten die Eltern in Ruhe arbeiten zu lassen. Im Laufe der letzten Wochen trafen sich alle Klassen immer wieder in virtuellen Morgenkreisen, die mit bekannten Abläufen auch von Kindern geleitet wurden. Die Klassenteams aus Lehrkraft und sozialpädagogischer Fachkraft des Jugendhilfeträgers gestalteten diese gemeinsam. Hier wurde gesungen und sich gegenseitig über die Erlebnisse von ‚stay home‘ ausgetauscht. Die Kinder wurden immer sicherer in den Verhaltensregeln des Meetings (Hand heben und stumm schalten) und nutzten teilweise den Chat parallel dazu. Dabei zeigten sich bei einzelnen Kindern für uns ganz unbekannte Stärken, im Umgang mit den sozialen Medien. Die Kinder, Eltern und alle Pädagogen erlebten ganz bewusst den Wert an Schule mit vielen guten Beziehungen, Freunden, hilfreichen Strukturen und viel Lernfreude. So beschrieb ein Kind, dass es beim Videochat mit den anderen Mitschülern/innen ‚Heimweh‘ empfindet. Regelmäßig führten einige Klassenlehrer/innen virtuelle Vorlesestunden am Nachmittag durch. Dies und vieles mehr gab den Kindern eine Tagesstruktur und entlastete die familiären Situationen evtl. mit mehreren Kindern und im Homeoffice enorm: „Vielen Dank, dass Sie mit den Kindern am Nachmittag lesen. Somit konnte ich eine Stunde lang meine Arbeit im Haus und der beruflichen Arbeit nachgehen.“, wie eine Mutter beispielsweise an die Lehrkraft zurückmeldete. Einzelne Kinder schrieben sich eigene Stundenpläne mit kreativen Ideen und im Sinne eines rhythmisierten Ganztages mit Phasen der Ent- und Anspannung (Spielen mit und ohne Medien, Gitarre üben, Besprechen u.a.) und teilten diese mit den ihren Mitschülern/innen. In einer Klasse wurde ein virtueller Elternabend durchgeführt. All dies führte zu einem veränderten Verständnis und einer großen Wertschätzung bei allen Beteiligten. Eltern unterstützten die Lehrkräfte bei der Einrichtung und Einladung solcher Meetings über die verschiedenen Plattformen.

Unsere regulären Lerngespräche mit jedem Kind alleine wurden telefonisch, per Videoanruf oder per Mail durchgeführt. Dadurch erhielten wir einen Einblick in die Privatsphäre vieler Familien, die Kinderzimmer. Das Vertrauen und die Beziehung zwischen Elternhaus und Schule und den Kindern vertiefte sich. Mit einzelnen Kindern wurde täglich telefoniert, um die Familien bei der Tagestruktur zu unterstützen und die Kinder individuell zu fördern. Die Eltern wendeten sich vertrauensvoll an uns, da die Herausforderung Schülerverhalten nun auf das Elternhaus übertragen wurde und dort zu Konflikten führte. Das Verstehen der jeweiligen Situation des Anderen war das neue Lernen für alle Beteiligten und wird sicher nachhaltig wirken. Gemeinsam wurde überlegt, wie alle Kinder an die Materialien kommen und an den virtuellen Treffen teilnehmen konnten, da nicht alle über digitale Endgeräte verfügten. Kollegen/innen fuhren mit dem Fahrrad zu den Häusern und warfen Post ein oder liehen Tablets aus. In der Schule lagen ausgedruckte Materialien für Eltern ohne Drucker zu Hause. Rückmeldungen aus den Elternhäusern erreichten uns, dass einige Mütter aus Familien mit Fluchterfahrung durch die Lernsettings zu Hause mit ihren Kindern selber viel im Bereich Lesen und Rechnen lernten. Sicher haben wir keine Chancengleichheit erreicht, aber doch viele Maßnahmen zur Chancengerechtigkeit ergriffen und dafür in der Schulgemeinschaft erfolgreich sensibilisiert.

Lehrkräfte, sozialpädagogische Mitarbeiter des Jugendhilfeträgers und Eltern mit ihren Kindern drehten eigene Erklärvideos und Yoga-Einheiten zum Mitmachen. Diese wurden auf internen youtube Kanälen online gestellt. Stolz schilderten die Kinder dort, was sie alles lernen und wie sie den Tag verbringen, u.a. einen Tag lang mit Lego ein Fahrzeug mit Straßen und Schienen konstruieren. Damit verdeutlichten sie unbewusst einen ganzheitlichen Lernbegriff, der unserem gemeinsamen Bildungsverständnis mit Zeiten des Lernens über den ganzen Tag entspricht.
Mit dem Ziel, dass der Unterricht nach der Schulschließung wieder ohne großen Vorlauf aufgenommen werden kann, entwickelten die Lehrkräfte einen Pool an Aufgaben (‚Tu was‘) und deckten damit die zehn Bildungsbereiche der Bildungsgrundsätze des Landes NRW ab (Bewegung, Körper, Gesundheit und Ernährung, Sprache und Kommunikation, Soziale und (Inter-)kulturelle Bildung, Religion und Ethik, Mathematische Bildung, Naturwissenschaftlich-technische Bildung, Ökologische Bildung und Medien). Sachaufgaben wurden von Kindern entwickelt und untereinander weitergeleitet, Texte kooperativ entworfen, Tagebücher geschrieben und angeleitete Sportprogramme durchgeführt. Einzelne Kinder schrieben ihre Biografien, pflanzten Blumen im Garten, bastelten Ostergeschenke für die Menschen im ortsansässigen Altenheim. Zum Dank an die Menschen in Berufen der kritischen Infrastruktur spielten und sangen Kinder auf den Balkonen sonntagabends die Ode an die Freude und hingen selbstgemalte Regenbögen in ihre Fenster. Die Kinder wurden angeleitet, diese Zeit auf einer ganzheitlichen Ebene mit einem Fragebogen zu guten Lernorten, zu Experten/innen in den verschiedenen Bereichen (u.a. Medien), zur Gestaltung von Lernzeiten und zum Lernen in geräuschvoller Umgebung zu reflektieren und für ihren Goldschatz (Gottfried Kinkel Lerndokumentation) festzuhalten. Es entstanden eine Verantwortungsgemeinschaft und ein vertiefter Zusammenhalt zwischen allen Beteiligten.

Auch wir als Gesamtteam nahmen uns die Zeit, auf einer Metaebene unser eigenes Rollenverständnis, unsere eigenen Lernzuwächse im digitalen Bereich in dieser Zeit und die Beziehungsebene zu den Kindern und Eltern bewusst zu machen und für die Weiterarbeit festzuhalten. Wir spürten die direkte persönliche Beziehung mit Kindern und Kollegen/innen und den vertrauten Arbeitsplatz. In der bisherigen beruflichen Arbeit sind uns vier Leitlinien wichtig:

Wir sind zuversichtlich, unsere Arbeit gut zu schaffen
Unser Handeln ist sinnvoll
Wir sind selbstwirksam.
Wir benötigen die Gemeinschaft.

In dieser Zeit fehlte uns die Gemeinschaft. Alle anderen Bereiche waren persönlich sichtbar und erlebbar.
Die Verbundenheit im Kollegium ist in diesen drei Wochen gestärkt worden. Wir schaffen diese neue Herausforderung trotz vieler Ungewissheiten. Dafür war im Leitungshandeln ein Zusammenhalten und Steuern wichtig. In gemeinsamen virtuellen Konferenzen wurden Kommunikationswege ausgetauscht, Absprachen getroffen, good practice Beispiele vorgestellt und über die Plattform Logineo Dienstpläne online gestellt. Die gemeinsam zu sichernde Notbetreuung auch in den Ferien war ein weiterer Schritt zur Zusammenarbeit von Jugendhilfe und Schule. Auch hier wurden die Ideen der Kinder aufgegriffen und die Kinder probierten die verschiedenen Lernangebote (Motorik, Musik, Atelier, Medien) in den Themenräumen aus und freuten sich über die enge Beziehung zu ihren Bezugspädagogen auf Abstand. Das Kollegium traf sich zweimal zusätzlich in virtuellen Meetings zu digitalen Fortbildungen. Diese wurden angeleitet durch den Medienbeauftragten und eine Medienpädagogin aus Münster. Dabei wurden die Apps stopmotion, biparcours zur Erstellung einer digitalen Schulralley und die Erstellung eines eigenen youtube – Kanals vorgestellt und erarbeitet. Es entstanden zeitnah beeindruckende, wertgeschätzte und transparente Produkte von Kindern und Lehrkräften. Gemeinsam staunten wir über unsere Kompetenzerweiterung im digitalen Bereich: „Ich traue mir immer mehr zu, auch wenn es mir nicht zufliegt.“, schilderte eine Kollegin.

Insgesamt zeigte sich durch diese besondere Situation, dass nicht unbedingt alleine die Ausstattung einer Schule entscheidend ist, sondern wie in den Bereichen der Inklusion und der Verzahnung von Jugendhilfe und Schule die Haltung und das gegenseitige Verstehen und Wertschätzen eine große Bedeutung für den Erfolg haben.
Die wichtigste Erkenntnis ist sicher, dass analoges und digitales Lernen keine Gegensätze sind, sondern wir beides brauchen und einen sinnvollen Einsatz digitaler Medien im Blick behalten müssen. Alles Lernen benötigt fachlichen Austausch, Anstrengung, intrinsische Motivation durch Partizipation und Feedback. Das beziehungsreiche, ganzheitliche Lernen in multiprofessionellen Teams an unserer Schule ermöglichte uns die Bewältigung dieser besonderen Zeit. Unser System wurde heruntergefahren und mit Updates während der Coronazeit neu gestartet. Es waren keine ‚Coronaferien‘ und kein Homeschooling, aber vieles wird das Lernen in Schule bei allen Beteiligten nachhaltig prägen und dabei ist die Weiterentwicklung unserer pädagogischen und didaktischen Ansätze durch das Digitale nur ein Bereich.

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