Bildung – Annäherung an einen Begriff 

Einleitung

Im ersten Schritt soll mit ein paar Hinweisen ausgeschlossen werden, was nicht mit Bildung gemeint ist. Bildung ist nicht mit Bildungsabschlüssen zu verwechseln, ist nicht Ausbildung und auch mehr als Qualifikation. Bildung ist auch nicht die Haltung eines feinsinnig Gebildeten, der seine Innerlichkeit pflegt, kein Kanon des  hochkulturellen Wissens oder ein festumrissener Bestand von Kulturgütern, aber auch kein Quiz-Wissen und nicht nur auf Fakten bezogen. Bildung geht nicht ohne Wissen, aber es gibt ein Wissen ohne Bildung. Bildung ist aber auch nicht nur Persönlichkeitsentwicklung von Individuen. Vielmehr geht es um die allseitige Entwicklung des Menschen.

Zweitens: Bildung ist an die Idee der Bildsamkeit des Menschen gebunden. Der Mensch besitzt die Fähigkeit, sich zu bilden und sich so zur Welt und sich selbst, zu seinen Erfahrungen in den ihn mitbestimmenden gesellschaftlichen Verhältnissen lernend zu verhalten. Er bildet sich selbst und wird nicht gebildet. Bildung bezieht sich darauf, dass der Mensch durch Natur und durch Sozialisation nicht festgelegt ist, weil ihm selbstverantwortliches, vernünftiges Handeln möglich ist. Bildung ist daher als Selbstgestaltung des Lebens in reflektierender und erkenntnissuchender Weise zu verstehen. Dabei wird auch Reflexion des eigenen Handelns ermöglicht.

Welches Verständnis von Bildung hat die Partei „Die Linke“?

Diese knappen und allgemeinen Voraussetzungen beachtend, vertritt die Partei „Die Linke“ einen Bildungsbegriff, der der Tradition von Bildung in ihrer jahrhundertelangen Geschichte folgt: Bildung ist keine Anpassung, sondern schließt  geistigen Widerstand ein. Ein solches Widerstandspotenzial wird durch Elemente der Selbstreflexion, der Kritik und der Selbstbestimmung hervorgebracht. Bildung ist also ein Vorgang der intellektuellen Selbstermächtigung des Menschen und stellt eine wertende und parteiliche Kategorie dar, die auf eine Welt- und Selbstveränderung nach Maßstäben der Vernunft und Humanität abzielt, die von keiner Gesellschaft ausgelöscht werden kann. Bildung ist der Wille zum Wissen und zur Wahrheit sowie der Mut, leidenschaftlich für Vernunft und vernünftige gesellschaftliche Verhältnisse einzutreten, die selbstverständlich dazugehören.

Unser Bildungsbegriff folgt einem kritisch-materialistischen Verständnis von Bildung, die auf der Grundlage der konkreten gesellschaftlichen Erfahrungen der Individuen und ihrer Lebensweise in der Gesellschaft beruht. Weil Bildung sich materialistisch versteht, fragt sie nach den gesellschaftlichen Voraussetzungen und Bedingungen für Bildung, aber auch ihren Blockaden.

Bildung ist damit nie abgeschlossen, sondern vor dem Hintergrund veränderter gesellschaftlicher Zwänge und Notwendigkeiten stets neu zu bestimmen. Bildung ist keine ausschließlich individuelle Gestaltung des Welt- und Selbstverständnisses des Einzelnen. Daher kritisiert Bildung solche Verhältnisse, die Menschen vereinnahmen wollen oder von einer naturwüchsig wirkenden Macht des Faktischen ausgehen.  Bildung ist von daher kritisch.

Eine solche kritische Bildung nimmt Kritik ernst, versteht sie als Prinzip,  alles kritisch zu hinterfragen. Damit ist auch das Eintreten für Wahrheit und Vernunft gemeint. Vor allem Herrschaftskritik ist gemeint, die die Defizite, Ungerechtigkeiten und Unstimmigkeiten zwischen Anspruch und Realität aufzeigt. Sie erhebt Einspruch gegen gesellschaftliche Zwänge, macht sie bewusst und lässt Möglichkeiten für eine andere Welt und Gesellschaft erkennen, für die sie dann auch eintritt.

Das Ziel einer kritischen Bildung ist die Realisierung von individueller und kollektiver Mündigkeit. Mündigkeit bezieht sich damit auf das Individuum und seinen Sozialisationsprozess ebenso wie auf die Gesellschaft und ihre Fähigkeit, grundlegende Herausforderungen produktiv bewältigen und damit menschliche Lebensverhältnisse schaffen zu können.  Individuelle Mündigkeit ist ohne gemeinschaftliche Anteile nicht realisierbar. Ebenso kann kollektive Mündigkeit ohne das Einwirken individueller Prozesse nicht erreicht werden. Mit kollektiver Mündigkeit ist die Fähigkeit gemeint, sich den ökonomisch-gesellschaftlichen Entwicklungstendenzen nicht willenlos zu fügen, sondern sie mit politischer Entschlusskraft selbstbestimmt im Interesse am Menschen und in einer Allianz mit den Naturverhältnissen zu gestalten. Mündigkeit als zentrales Ziel kritischer Bildung verdeutlicht, dass Bildung nicht neutral sein kann. Dabei vergewissert sie sich auch stets selbst, dass sie ihrem Anspruch sozial-moralischer Verbindlichkeit nachkommt.

Neben dem zentralen Begriff der Mündigkeit ist „Emanzipation“ als individuelle und kollektive Fähigkeit ein Ziel. Hier geht es um die Frage, ob der Einzelne  seine Biografie selbst mitgestalten kann oder  wie Vereinnahmung, Fremdbestimmung und sozio-kulturelle Abhängigkeiten überwunden werden können. Emanzipation ist dabei ebenso wie Mündigkeit nicht nur individuell verkürzt zu denken, sondern auch als kollektives Gefüge mit dem Ziel befreiender Identitätsbildung. Sie kann und wird ausschließlich von selbstbestimmt denkenden und handelnden Subjekten vollzogen, die allein in der Lage sind, sich selbst zu befreien und zu bemächtigen und Fremdbestimmung zurückzudrängen.

Bei dem Bemühen um Emanzipation als individuelles und soziales Projekt sollte nicht nur Selbstverfügung, Selbst- und Mitgestaltung und Humanität mitgedacht werden. Kritische Bildung wirkt daher auch einer Entsolidarisierungstendenz in einer von neoliberaler Ideologie geprägten Gesellschaft, die von sozialer Kälte, Ellenbogenmentalität und mit der Aushöhlung human-solidarischer Umgangsformen geprägt ist, entgegen. Vielmehr erschließt ein solches Bildungsverständnis die gemeinschaftlich–solidarische Subjektwerdung des Menschen.

Ein solchermaßen kritisch sich verstehender Bildungsbegriff reflektiert aber auch die eigenen Selbstbilder. So besteht die Möglichkeit, einer idealisierenden Überhöhung zu entgehen und sich ein reflektierendes Instrumentarium anzueignen, das die Widersprüchlichkeiten und die eigenen Verstrickungen in die jeweils spezifischen hegemonialen Strukturen selbst bewusst macht.

Bezugstext: Gernod Röken: Kritische Bildung – eine unverzichtbare Notwendigkeit oder eine Tautologie? Einführung in Grundlagen einer solchermaßen bestimmten Ausrichtung des Pädagogikunterrichts. Erschienen in: Püttmann, Carsten (Hrsg.): Bildung. Konzepte und Unterrichtsbeispiele zur Einführung in einen pädagogischen Grundbegriff, Didactica Nova, Band 29, Hohengehren 2019, Schneider Verlag, S. 158 – 196, Literaturangaben u. Kennzeichnung der Zitate dort)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert