Schulpolitik der AfD

Diskussion mit Line Saur und Moritz Gawert 

Bildung ist ein zentrales Feld politischer Einflussnahme. Das wissen alle Parteien, und auch die AfD nutzt dieses politische Feld, um Themen zu setzen, Diskurse zu beeinflussen und Lehrkräfte einzuschüchtern. Mittlerweile ist die AfD in 15 von 16 Landtagen vertreten und nutzt ihre parlamentarische Macht, um rechte Ideen und Vorstellungen zu normalisieren und letztlich bildungspolitisch wirken zu können. Welche Strategien die AfD dabei nutzt und welche Themen besonders relevant sind, untersuchen Line Saur und Moritz Gawert an der Uni Augsburg in einem neuen Projekt.

Der Rechtsruck in der Bildungspolitik ist kein ausschließlich deutsches Phänomen. Das machten die beiden ReferentInnen deutlich,  die  an einem dreijährigen DFG-finanzierten Projekt arbeiten.  Auch international gewinnen rechte Kräfte an Bedeutung, zuletzt in den USA, wo Konservative und Evangelikale schon lange das Feld der Schulpolitik nutzen, um Ängste zu schüren oder in ihren Augen problematische Bücher – wie das „Tagebuch der Anne Frank“ – aus den Schulbibliotheken zu entfernen, beispielsweise in Florida. Dabei spielt der Prozess des „democratic backsliding“ eine Rolle, bei dem demokratische Institutionen von antidemokratischen Akteur:innen ausgenutzt werden, um diese von innen zu schwächen. In Deutschland ist beispielsweise bei der konstituierenden Sitzung im Thüringer Landtag deutlich geworden, wie gefährlich die Macht rechter Parteien wie der AfD sein kann, auch ohne, dass diese Regierungsverantwortung tragen, wenn Prozesse, die bisher „immer einfach funktioniert“ haben, von der AfD plötzlich infrage gestellt werden.

Ein zentrales Ziel der AfD ist die Beeinflussung von Lehrplänen, um ihre ideologische Agenda durchzusetzen. Zudem setzt sie Lehrkräfte gezielt unter Druck, indem sie den Begriff der „Neutralität“ instrumentalisiert und Meldeportale schafft, um angebliche politische Voreingenommenheit an Schulen zu denunzieren. Auch auf struktureller Ebene versucht die AfD, Bildungsinstitutionen zu durchdringen, etwa durch Klagen, um in Gremien der Landeszentralen für politische Bildung aufgenommen zu werden und ihre Themen in der politischen Bildung unterbringen zu können.

Im Projekt der Uni Augsburg wird die AfD als extrem rechte und populistische Partei eingeordnet, deren Politik an reale strukturelle Probleme im Bildungssystem anknüpft, diese jedoch stark emotionalisiert und verzerrt darstellt. Ihr Rechtspopulismus fungiert als Brücke zwischen der rechten Mitte und der extremen Rechten. Die Partei nutzt rhetorische „Tricks“, die bereits Theodor W. Adorno in seiner Schrift „Aspekte des neuen Rechtsradikalismus“ analysierte. Auch Leo Löwenthal hat die Strategie der Rechten früh erkannt: Sie dockt an systemimmanente Probleme unserer kapitalistischen Gesellschaftsordnung an, ohne die realen Widersprüche zu benennen oder konstruktive Lösungen anzubieten. Löwenthal schreibt über die Gefühle, an die Populist:innen andocken: „Diese Gefühle können weder als willkürlich noch als gekünstelt ignoriert werden, sie sind grundlegend für die moderne Gesellschaft. Mißtrauen, Abhängigkeit, Ausgeschlossensein und Enttäuschung vermischen sich zu einem Grundzustand des modernen Lebens: der Malaise, des Unbehagens.“ (Löwenthal (2021): Falsche Propheten, S. 37). Deshalb bringt es wenig, der AfD nur positive Erzählungen entgegenzusetzen, ohne die realen gesellschaftlichen Probleme ernst zu nehmen und echte politische Lösungen anzubieten. Ein realpolitisches Beispiel dafür ist die PISA-Studie, welche komplexe Probleme des deutschen Schulsystems aufzeigt, von der AfD aber genutzt wird, um nationalistische Erzählungen zu stärken und unterkomplexe Lösungen zu empfehlen. Für die AfD ist die Migrationspolitik die Wurzel allen Übels, auch in der Bildung, weshalb sie mit Slogans wie „Migration ruiniert unsere Schulen!“ Wahlkampf macht.

Ein besonders wichtiges Mobilisierungsinstrument der AfD ist die Schule als Ort der ideologischen Auseinandersetzung, als vermeintlicher Ort linker Hegemonie und Umerziehung. Dabei setzt die AfD auf eine stark emotionalisierte Darstellung pädagogischer Inhalte, die Ängste schürt und Feindbilder schafft. Besonders in den sozialen Medien hat die AfD eine hohe Reichweite und inszeniert sich über Plattformen wie Facebook, TikTok und YouTube gezielt als Stimme gegen eine vermeintliche „Indoktrination“ an Schulen.

Ein zentrales Feindbild ist die Sexualpädagogik. Die AfD lehnt Sexualaufklärung in Kita und Grundschule ab und spricht in diesem Zusammenhang von „Frühsexualisierung“ – ein Begriff, der pädagogisch nicht fundiert, sondern ein rechter Kampfbegriff ist. Die Partei konstruiert ein Bedrohungsszenario, in dem Kinder vermeintlich sexuellen Einflüssen ausgesetzt und in ihrer Identität verunsichert werden sollen. Sie propagiert ein heteronormatives Familienbild, in dem nur die traditionelle Familie aus Vater, Mutter und Kind als erstrebenswert gilt. In aktuellen rechten Erziehungsratgebern ist beispielsweise bei einer Aktivistin der rechtsextremen Identitären Bewegung nachzulesen, wie die aktuell gehypte Bindungstheorie genutzt wird, um die Bedeutung der Bindung zur Mutter zu betonen und so ein traditionelles Familienmodell zu propagieren. Zugleich stellt die AfD das Recht auf Abtreibung infrage und lehnt auch in diesem Bereich Aufklärung im Bildungssektor ab. Die AfD arbeitet dabei eng mit religiös-konservativen Gruppen zusammen. Moderne Forschung betont entgegen der politischen Forderungen der AfD, dass Kinder von Geburt an sexuelle Wesen sind und eine entwicklungsadäquate Aufklärung notwendig ist, um Körperbewusstsein, emotionale Kompetenz und soziale Interaktion zu fördern. Wissenschaftliche Erkenntnisse werden von der AfD populistisch verkürzt, um bildungspolitische Stimmung zu machen: So wurde beispielsweise in Berlin eine Kampgange gestartet, in der die Forderung, kindlicher Sexualität Raum zu geben, wörtlich genommen und ein Angstszenario vor angeblichen „Masturbationsräumen“ in Kitas erschaffen wurde. Auch, wenn solche Räume von niemandem gefordert wurden, verändern solche Fake News den Diskurs.

Ein weiteres strategisches Instrument der AfD ist die Forderung nach politischer Neutralität in der Schule, die sie mit dem Beutelsbacher Konsens begründet. Tatsächlich wird der Begriff der „Neutralität“ dort jedoch nicht verwendet. Vielmehr wird dort ein auf Kontroversität angelegter Unterricht gefordert. Lehrkräfte sind dazu angehalten, Themen, die in der Gesellschaft kontrovers diskutiert werden, auch in der Schule zu diskutieren. Dabei sollen Lehrkräfte durchaus selbst Position beziehen, sie dürfen jedoch ihre Schüler:innen damit nicht überwältigen,. Dennoch sind viele Lehrkräfte verunsichert, weil sie dem Missverständnis der Neutralität aufsitzen.Die AfD nutzt das Schlagwort der politischen Neutralität, um Lehrkräfte weiter einzuschüchtern. Beispielsweise wurde in Hamburg eine Online-Meldeplattform eingerichtet, auf der vermeintliche Verstöße gegen das „schulische Neutralitätsgebot“ gemeldet werden sollten. Aktionen wie diese tragen zur Verunsicherung unter Lehrkräften bei.

In der Schulpolitik werden Migration und Multikulturalismus als Bedrohung für „unsere Kinder“ dargestellt. Die Partei setzt gezielt auf affektive Ansprache, indem sie Eltern und Großeltern adressiert und Bilder von einer vermeintlich „importierten Verrohung“ zeichnet, die „unsere Kinder“ gefährden würde. Die tatsächlichen Ungerechtigkeiten des Schulsystems lässt die AfD dabei außer Acht: Während sie einerseits Chancengleichheit im Bildungssystem betont, setzt sie gleichzeitig auf ein biologistisches Begabungsverständnis, das soziale Faktoren weitgehend ausblendet. Sie fordert schulische Teilhabe durch Maßnahmen wie kostenlose Mittagessen oder Schulkleidung, verschärft jedoch durch ihren Fokus auf Leistung bestehende Ungleichheiten. Zudem beruft sie sich auf den deutschen Idealismus und die Bildungsideale Humboldts, verfälscht sie jedoch, um ihre kulturhistorischen Bezüge zu legitimieren und ihre nationalistische Erzählung von Deutschland als Kulturnation zu stützen.

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