Seine Gesamtschule „Katharina-Henoth“ – benannt nach einer als vermeintliche Hexe verbrannten Kölnerin – ist die einzige in der Domstadt, die neben 20 Grundschulen in den Genuss des Starchancen-Programms kommt, berichtet Martin Süsterhenn, der Schulleiter. Er führte in die Veranstaltung zum „Starchancen-Programm“ ein. Seine Schule hat den Sozialindex 9, gilt also als Schule in besonders prekärer Lage. Sie liegt, wie 17 der anderen geförderten Kölner Schulen, im Rechtsrheinischen, die drei linksrheinischen sind alle im Stadtteil Chorweiler – Köln ist also sozialstrukturell klar gegliedert. Wie kann eine Schule mit diesen Standortbedingungen umgehen und wie kann sie das Starchancenprogramm dabei unterstützen?
Ziel des Programms, von der letzten Bundesregierung aufgelegt und von der neuen fortgeführt, ist die „Entkopplung des Bildungserfolgs von der sozialen Herkunft, Förderung der Chancengerechtigkeit, Professionalisierung der Lehrkräfte und das Erreichen von Mindeststandards im Lesen, Mathematik und Deutsch“. Dafür gibt es, gestreckt über 10 Jahre, 20 Milliarden Euro, je zur Hälfte von den Ländern und vom Bund. Maren Kaminski, neue Bundestagsabgeordnete der Linksfraktion, vermerkt in der Diskussion diese Kofinanzierung als einen positiven Aspekt des Programms: Damit wird das Kooperationsverbot weiter durchlöchert, das den Bund daran hindert, sich in Bildungsangelegenheiten einzumischen, um so auch für einigermaßen gleiche Lebensverhältnisse in der Republik zu sorgen. Auf der Positiv-Seite bei der Finanzierung stehe auch, dass die Gelder nicht nach dem „Königssteiner Schlüssel“ verteilt werden, sodass finanzschwache Länder mit hohem Bedarf dabei besser abschneiden.
Der erste, größte Topf soll die Ausstattung der Schulen, inklusive Schulbauten, verbessern. Doch für Bau und Ausstattung sind die Kommunen als Schulträger zuständig. Was ist, wenn sie, wie viele Gemeinden, fast pleite sind und der Haushaltssicherung unterliegen? Nicht jede Landesregierung ist bereit, diese Kosten der Kommunen zu übernehmen.
Doch abgesehen davon, dass mit dem Programm endlich etwas für mehr Bildungsgerechtigkeit getan werden soll, wie Martin Süsterhenn und Martina Zilla Seifert feststellten, gibt es von den beiden Referentinnen und aus dem Publikum viel Kritik. Mit der zweiten Säule des Programms sollen innovative Konzepte im Sinne von mehr Autonomie gefördert werden. Doch tatsächlich wächst die Bürokratie: Konzepte müssen geschrieben und begründet werden, es wird evaluiert, die Schulaufsicht mischt sich ein. Und letztlich geht es nur um „mehr von dem schlechten Alten“, kritisierte Martina Zilla Seifert: alles muss in das Korsett der Lehrpläne und der vorgegeben Fächerstrukturen passen. Etwas Neues, wie etwa ein Theaterprojekt, gibt es nur „on top“, dass ästhetische Bildung als tragendes inklusives Angebot implementiert wird, ist nicht vorgesehen. Und wo kommen neue Ideen her? Der Staat habe sich aus dem Fortbildungsangebot weitgehend zurück gezogen. Es tummeln sich viele private Anbieter auf dem Fortbildungsmarkt für Schulen und Lehrkräfte, er könne sich vor den vielen Angeboten, die er ins Haus bekomme, nicht mehr retten, meint Martin Süsterhenn. Diese zweite Säule laufe auf ein grandioses neoliberales Privatisierungsprogramm hinaus, so Martina Zilla Seifert. Und Forderungen, wie sie aus den Schulen inherausfordernder Lage z.B. in NRW auf dem Tisch liegenetwa von der Initiative „Schule³-eine Untergliederung der GGG NRW“, von der Martina Zilla Seifert berichtet, finden kaum Berücksichtigung. Überhaupt habe man weder diese Initiativen, Lehrkräfte oder gar SchülerInnen einbezogen.
Was arme Schulen wirklich brauchen? An der Katharina Henoth-Gesamtschule bietet Martin Süsterhenn mithilfe privater Spenden ein kostenloses Frühstück an. Notwendig sei ein kostenloses Mittagessen für alle – dass das möglich ist, kann man nicht nur in Finnland sehen, sondern auch in Berlin, wo das die letzte Regierung eingeführt hat. Mit dieser Verbesserung der materiellen Lernbedingungen würde man mehr für Bildungsgerechtigkeit tun. An seiner Schule sei eine Lehrkraft nur damit beschäftigt, den Eltern bei den Anträgen zum Bildungs- und Teilhabeprogramm zu helfen, berichtet Süsterhenn.
In der dritten Säule des Programms geht es um die Einstellung zusätzlichen Personals. So schön es sei, dass er SozialarbeiterInnen, TheaterpädagogInnen, KünstlerInnen und MusikerInnen in multiprofessionelle Teams einstellen könne – notwendig seien mehr ausgebildete Lehrkräfte. Notwendig sei zudem, dass die zusätzlichen wie die regulären Lehrkräfte Zeit bekommen, um überhaupt in Teams zu arbeiten. Die Lehrerarbeit müsse neu und anders organisiert werden, damit überhaupt die notwendigen Interventionen und ein gewinnbringender Unterricht in Schulen entwickelt werden können.
In der Diskussion wurde kritisiert, dass 4000 bedachte Schulen von knapp 33000 zu wenig sind. Dazu kommt die Frage, was aus denn aus Stellen und Projekten nach zehn Jahren wird, wenn das Programm ausläuft? Schließlich: Innovationen gibt es nur „on top“. Das heißt darunter läuft das bekannte Programm von Fächern, Klassenverbänden, der gewohnten Arbeitsorganisation der Lehrkräfte weiter – an Gesetzen, Verordnungen, Lehrplänen etc. ändert sich dadurch zunächst mal nichts.
Fazit: Gut, dass das Problem der Bildungsgerechtigkeit mit einem Programm angegangen wird. Aber 4000 Schulen zu fördern ist zu wenig, die zeitliche Befristung eröffnet keine dauerhaften Perspektiven, die Schulen, Lehrkräfte und Schülerinnen sind zu wenig einbezogen, der bürokratische Aufwand wächst und belastet so manche Schulleitungen zusätzlich. Es mehren sich die Zweifel und Widerstände in den beteiligten Schulen.