Wir erklären uns solidarisch mit dem Berliner Bündnis ‚Schule muss anders‘ und teilen hier den Appell für eine Bildungswende:
BILDUNGSWENDE jetzt:
4 Forderungen für ein gerechtes und inklusives Bildungssystem, das auf die Zukunft vorbereitet!
Sehr geehrter Bundeskanzler Olaf Scholz,
sehr geehrte Mitglieder der Bundesregierung und des Deutschen Bundestags, sehr geehrte Regierungschef*innen der Länder,
sehr geehrte Mitglieder der Kultusministerkonferenz,
unsere Gesellschaft erlebt aktuell eine der schwersten Bildungskrisen seit Gründung der Bun- desrepublik. Ein enormer und sich vergrößernder Mangel an Lehrer*innen und Erzieher*innen trifft auf ein veraltetes, unterfinanziertes und segregiertes Bildungssystem, das sozial ungerecht ist. Kinder und Jugendliche werden viel zu oft nicht ausreichend auf die Zukunft vorbereitet, und notwendige Aufgaben wie Digitalisierung und Inklusion wurden viel zu lange verschlafen.
Welche Entscheidungen Sie in den nächsten Wochen und Monaten treffen, hat maßgeblichen Ein- fluss auf die Bildungsbiografien, Zukunftschancen und Lern- und Arbeitsbedingungen von hundert- tausenden Schüler*innen und Beschäftigten sowie auf die Frage, ob sich die soziale Spaltung wei- ter verschärft oder ihr entgegen gewirkt wird.
Wir appellieren als Lehrkräfte, Erzieher*innen, Schüler*innen, Eltern, Studierende und Wis- senschaftler*innen sowie Gewerkschaften, Bildungsorganisationen und -initiativen an Sie, jetzt die Weichen für ein gerechtes und inklusives Bildungssystem zu stellen, das auf die Zukunft vorbereitet!
Bildung beginnt bereits vor der Schule, die Krise auch: Bundesweit fehlen hunderttausende Kita- plätze und über 300.000 Erzieher*innen, um eine ausreichende Versorgung und einen angemes- senen Betreuungsschlüssel zu gewährleisten. An den Schulen fehlen bis 2035 knapp 160.000 Lehrer*innen.
Die Bildungskrise hat Folgen
Viele Kitas und Schulen beklagen, dass sie aufgrund der nicht kindgerechten Personalausstattung und der Überlastung ihren Bildungsauftrag nicht mehr erfüllen können. Knapp 50.000 junge Men- schen verlassen jedes Jahr die Schule ohne Abschluss. Schlechte Lernbedingungen erzeugen schlechte Leistungen. Schüler*innen lesen, schreiben und rechnen immer schlechter, wie der jüngste IQB-Bildungstrend zeigt.
Dabei hängt der Bildungserfolg in unserer Gesellschaft immer noch maßgeblich von der sozialen Herkunft ab. Bildungschancen sind extrem ungleich verteilt und der wachsende Mangel an Lehr- kräften und Erzieher*innen verschärft diese bereits bestehende Ungleichheit weiter.
Die Bildungskrise raubt Kindern und Jugendlichen Zukunftschancen, verbaut ihnen Lebenswege und erschwert gesellschaftliche Teilhabe. Sie belastet ganze Familien sowie die Gesundheit von Erzieher*innen und Lehrer*innen. Die gesellschaftlichen Folgen der sich ausbreitenden Bildungs- krise sind enorm. Eine hohe Abhängigkeit des Bildungserfolgs von der sozialen Herkunft verfestigt die Spaltung unserer Gesellschaft und beschädigt das Vertrauen in die Demokratie. Der Fachkräf- temangel verschärft sich und Armut wird reproduziert.
Neben den sozialen und wirtschaftlichen Folgekosten stellt sich auch die Frage nach den ökologi- schen Herausforderungen. Schließlich erleben wir neben der Bildungskrise eine Klimakrise, die unsere gesamte Gesellschaft vor existentielle Herausforderungen stellt. Das Bildungssystem muss Zukunftskompetenzen fördern und den großen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts ange- passt werden, allen voran der Klima- und Biodiversitätskrise, aber auch dem veränderten Umgang mit Wissen und Medien.
Doch wie soll ein veraltetes und überlastetes Bildungssystem junge Menschen sinnvoll auf die Zu- kunft vorbereiten und einen substanziellen und notwendigen Beitrag zur Bekämpfung des Klima- wandels leisten, wenn dafür im Alltag in Kita und Schule kaum Zeit bleibt?
Eine echte Bildungswende statt weiter Löcher zu stopfen
Umso fataler ist, dass die zahlreichen Mahnungen und Interventionen von Seiten der Zivilgesell- schaft bisher nicht zu einem Umsteuern bei Ihnen, den maßgeblichen politischen Entscheidungs- träger*innen im Bund und in den Ländern, geführt haben. Wir müssen uns sogar fragen, ob Sie bereits formulierte Bildungsziele nicht einmal selbst ernst nehmen? 2008 hat die Bundesregierung auf dem Dresdner Bildungsgipfel beschlossen, zukünftig 10% des BIP (Bruttoinlandsprodukt) für Bildung (7%) & Forschung (3%) auszugeben. Fast 15 Jahre später ist dieses Ziel nicht erreicht und wieder in Vergessenheit geraten.
Die jüngsten Empfehlungen der ständigen wissenschaftlichen Kommission (SWK) der Kultusminis- terkonferenz (KMK) vom Januar 2023 sind größtenteils dysfunktional: Mehrarbeit, die Einschrän- kung von Teilzeit und ein bisschen Yoga als Stress-Ausgleich. Wir stellen uns dagegen, den Lehr- kräftemangel auf dem Rücken der Beschäftigten auszutragen. Umso erschreckender ist, dass ein Teil dieser Vorschläge in manchen Bundesländern gerade Realität wird.
Der sogenannte „Bildungsgipfel“ vom März 2023 hat ebenso wenig zur Lösung der Bildungskrise beigetragen, sondern vor allem die zerrüttete Bund-Länder-Kooperation im Bildungsbereich und das mangelhafte Verständnis von Partizipation auf Seiten der politischen Verantwortlichen offen- bart. Bei diesem Gipfel, der gerade einmal drei Stunden dauerte, kam so gut wie niemand zu Wort, der oder die aktuell täglich in einer Schule oder Kita lernt oder arbeitet.
Wer die Bildungskrise lösen will, muss Druck aus dem überlasteten System nehmen und die Leute beteiligen, die tagtäglich direkt mit Kita und Schule in Berührung sind.
Wir fordern eine echte Bildungswende, hin zu einem gerechten, inklusiven und zukunftsfähigen Bildungssystem. Einem Bildungssystem, das sich an die Bedürfnisse der Schüler*innen und der Beschäftigten anpasst anstatt die Krise auf dem Rücken der Beschäftigten, Schüler*innen und Familien auszutragen. Einem Bildungssystem, das sich gegen die gesellschaftliche Spaltung stemmt, anstatt sie zu fördern.
Wir sind überzeugt, dass unsere Gesellschaft diesen Weg nur einschlagen kann, wenn Sie zeitna- he und mutige politische Entscheidungen treffen.
Wir fordern von Ihnen
1. SONDERVERMÖGEN Bildung und ausreichende Finanzierung
- ein Sondervermögen Bildung in Höhe von mindestens 100 Mrd. € für die notwendigen Investitionen in Kita und Schule
mindestens 10% des BIP jährlich für Bildung und Forschung, wie es beim Dresdner Bildungsgip- fel 2008 vereinbart wurde
2. AUSBILDUNGSOFFENSIVE für Lehrer*innen und Erzieher*innen
- einen Staatsvertrag Lehrkräftebildung, der alle Bundesländer dazu verpflichtet, genügend Lehrkräfte auszubilden und die Studienabschlüsse gegenseitig anzuerkennen
- die Überarbeitung und engere Verzahnung des Lehramtsstudiums mit der Praxis und neue Wege ins Lehramt
- einen Plan, wie die Ausbildung von ausreichend und gut qualifizierten Erzieher*innen bei attraktiven Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen sichergestellt werden kann, und dessen Um- setzung
3. Schule ZUKUNFTSFÄHIG und INKLUSIV machen
- Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) wirkungsvoll als verbindlichen Lerninhalt zu ver- ankern, damit sich Schüler*innen auf die großen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts vor- bereiten können
- Lehrpläne und Lerninhalte schüler*innenorientiert und diskriminierungskritisch zu über- arbeiten, um Freiräume für die intellektuelle, emotionale und soziale Entwicklung der Schüler*innen zu schaffen und die Bildungsqualität zu erhöhen
- alternative Leistungsbewertungen zu ermöglichen statt zu viele Vergleichsarbeiten durchzu- führen
- Schulentwicklung gemeinsam zu gestalten, auf Nachhaltigkeit auszurichten und durch passen- de Aus- und Weiterbildung zu unterstützen
- multiprofessionelle Teams als festen Bestandteil in allen Schulen zu verankern und zu finan- zieren4. echter BILDUNGSGIPFEL auf Augenhöhe
• einen vom Bundeskanzler in Absprache mit den Regierungschef*innen der Länder einberufenen Bildungsgipfel, um gemeinsam mit Vertreter*innen aus Zivilgesellschaft und Bildungspraxis über Auswege aus der Bildungskrise und den Aufbau eines gerechten, inklusiven und zukunfts- fähigen Bildungssystems zu diskutieren