2015 haben die Vereinten Nationen die globalen Ziele für nachhaltige Entwicklung mit der Agenda 2030 beschlossen. Sie haben hochwertige inklusive Bildung zum Herzstück für nachhaltige Entwicklung gemacht. Die Agenda 2030 hat 17 „Sustainable Development Goals“ – oder auch kurz SDGs – identifiziert, die wesentlich sind, um unseren Planeten zu erhalten und allen Bewohnern der Erde eine zuverlässige Lebensqualität zu sichern. Zu den Zielen für nachhaltige Entwicklung gehören u.a. Armutsbekämpfung, Friedenssicherung, Klimaziele, soziale Gerechtigkeit und Geschlechtergerechtigkeit.

Ziel 4: „Inclusive and Quality Education“

Hochwertige inklusive Bildung ist das SDG 4. Es ist Ziel und Werkzeug zugleich für die Durchsetzung der anderen Ziele für nachhaltige Entwicklung. Mit inklusiver Bildung soll bis 2030 sichergestellt werden, dass alle Lernenden die notwendigen Kenntnisse und Kompetenzen zur Förderung nachhaltiger Entwicklung erwerben. Die Vereinten Nationen tragen der hohen Bedeutung von inklusiver Bildung Rechnung, indem sie diese zur notwendigen Voraussetzung für nachhaltige Entwicklung machen.

2015 hat die UNESCO das Weltaktionsprogramm Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) zur Umsetzung des SDG 4 gestartet. Sie koordiniert und begleitet diesen Prozess im Rahmen der Vereinten Nationen. „Bis 2030 für alle Menschen inklusive, chancengerechte und hochwertige Bildung sowie Möglichkeiten zu lebenslangem Lernen sicherstellen“, lautet das Ziel der Bildungsagenda 2030.

Bildung für das 21. Jahrhundert

Das Weltaktionsprogramm BNE der UNESCO hat seine inhaltlichen Wurzeln in der Agenda 21 von Rio 1992, in der Salamanca-Erklärung der UNESCO von 1994 und im Delors-Bericht von 1996 mit dem Titel „Learning: The Treasure Within“. Eine internationale Expertenkommission unter der Leitung von Jacques Delors hat darin im Auftrag der UNESCO die wichtigsten Aufgaben und Ziele von Bildung für das 21. Jahrhundert ermittelt und begründet. Vier Säulen sind demnach für Bildung konstitutiv: Lernen zu wissen, Lernen zu handeln, Lernen, miteinander zu leben und Lernen zu sein.

Bildung für das neue Jahrhundert bedeutet, relevantes Wissen für das Verständnis der globalen gesellschaftlichen Herausforderungen zu erwerben und für diese Aufgaben handlungs- und gestaltungsfähig zu werden. Bildung zielt auf Gemeinschaftsfähigkeit, da die gesellschaftlichen und globalen Probleme nur gemeinsam gelöst werden können. Verantwortungsübernahme für sich und andere, auch in Krisen und in Zeiten großer Ungewissheit, ist wichtiges Bildungsziel. Lernen, miteinander zu leben wird als Wesenskern von Bildung für das 21. Jahrhundert herausgestellt. Der menschenrechtsbasierte Ansatz von inklusiver Bildung, den die Salamanca-Resolution in einer Schule für alle realisiert sieht, ist unverzichtbare Voraussetzung für Bildung, die sich den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts stellt.

Gegen die starken neoliberalen gesellschaftlichen Tendenzen einer Ökonomisierung von Bildung betont der Bericht die ethische Dimension von Bildung für die Persönlichkeitsentwicklung und für die gesellschaftlichen Zukunftsaufgaben im Kampf gegen Armut, für die Sicherung des Friedens und den Schutz der Umwelt. Er plädiert für die Abkehr von einem Lernen, das auf Konkurrenz, Wettbewerb und Eigennutz ausgerichtet ist.

Nur bildungspolitische Scheinlösungen

Deutschland hat sich mit der Ratifizierung der UN- Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) verpflichtet, ein inklusives Bildungssystem zu entwickeln und das Recht aller Lernenden auf inklusive Bildung zu gewährleisten.

Auf Initiative der Bundesregierung hat Deutschland in Zusammenarbeit mit Organisationen und Vertretern der Zivilgesellschaft, der Politik, Wissenschaft und Wirtschaft 2017 einen „Nationalen Aktionsplan Bildung für nachhaltige Entwicklung“ aufgestellt und verabschiedet. Auch darin klingt die Verpflichtung zu inklusiver Bildung an, allerdings ohne kritische Reflexion des derzeitigen Bildungssystems.

Dieser doppelten Verpflichtung zu hochwertiger inklusiver Bildung aus der UN-BRK und der Bildungsagenda für nachhaltige Entwicklung kommt die Bildungspolitik jedoch nicht nach. Ein Schulsystem wie das deutsche wird nicht dadurch inklusiv, dass die sog. Inklusion von Kindern mit Behinderungen dem hoch selektiven und segregierten allgemeinen Schulsystem einfach „aufgepfropft“ wird. Die extrem ungerechte Verteilung der Bildungschancen entlang des sozioökonomischen Status der Eltern besteht nach wie vor, wie alle Studien belegen. Bildungsarmut und Bildungsprivilegien werden auch im 21. Jahrhundert noch vererbt. Angesichts einer wachsenden wirtschaftlichen und sozialen Spaltung hat das bestehende Schulsystem wegen seiner scharfen sozialstrukturellen Trennung und Aufspaltung eher die Qualität eines Brandbeschleunigers.

Die inklusive Schule als Ort der Vergemeinschaftung

Unserer Gesellschaft mangelt es zunehmend an Zusammenhalt, Solidarität, Gemeinsinn und Wertschätzung für Demokratie. In regelmäßigen Studien ermittelt das Institut für Interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung an der Universität Bielefeld das gesellschaftliche Klima gemessen an der „gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“. Die Forschung kann zeigen, dass die Tendenz, den Wert eines Menschen an seiner Nützlichkeit zu messen, in alle gesellschaftlichen Schichten eingedrungen ist, auch in die wichtige normbildende soziale Mitte. Diese Tendenz geht einher mit der Zunahme sozialer Segregation.

Unsere Gesellschaft braucht dringend Orte der Vergemeinschaftung, wo das gleichberechtigte soziale Miteinander erlebt und eingeübt wird. Die inklusive Schule ist ein solcher Ort, da sie alle Kinder und Jugendlichen erreicht und geprägt ist von einem positiven Wir-Gefühl und Wir-Bewusstsein, das aus der Anerkennung der menschlichen Würde und der gleichberechtigten sozialen Zugehörigkeit entsteht.

Wir brauchen deshalb ein inklusives Bildungssystem als transformatorisches Gesellschaftsprojekt. Das jetzige System ist dysfunktional für eine demokratische, menschenrechtliche und an den gesellschaftlichen Herausforderungen ausgerichtete Bildung für das 21. Jahrhundert.

Statt falschen Schulfrieden zu machen, muss die Politik über die Notwendigkeit einer radikalen Schulstrukturreform aufklären und strukturelle und inhaltliche Transformationsschritte einschlagen. An dieser gesellschaftlichen Aufklärung sollten sich auch die Akteure für nachhaltige Entwicklung vehement beteiligen, da inklusive Bildung die Voraussetzung für nachhaltige Entwicklung darstellt. Sie sollten sich keineswegs mit dem zufrieden geben, was die Politik als inklusive Bildung deklariert.

Ein Gedanke zu “Dr. Brigitte Schumann: Nachhaltige Entwicklung braucht hochwertige inklusive Bildung für alle”

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