Die durch das Corona-Virus ausgelöste gesellschaftliche Krise wirft eine Vielzahl pädagogi-
scher/bildungspolitischer Grundfragen auf, die von der Linken kaum thematisiert werden, ob-
gleich sie existenzieller Natur sind. Linke Bildungspolitik scheint durch eine systematische
Verengung ihrer Fragestellungen gekennzeichnet. Gleichzeitig orientiert sich diese Bildungspo-
litik weitgehend an den Vorgaben der vorherrschenden Krisenbewältigungspolitik. Vornehm-
lich geht es um gesundheitspädagogische Aspekte, um die Auseinandersetzung mit Hygiene-
konzepten im schulischen Kontext oder um Fragen der digitalen Ausstattung. Die pädagogische
Grunddimension der gesellschaftlichen Krise ist jedoch eine viel tiefergreifende, deren Grund-
probleme mit schnellen, pragmatistischen Eingriffen nicht zu lösen sind. Ohne Anspruch auf
Vollständigkeit sind einige dieser elementaren, ‚linke‘ Bildungspolitik herausfordernden Frage-
stellungen aufgelistet, die dringend in das Zentrum bildungspolitischer Debatten gerückt wer-
den müssten:
– Wie werden die Welt-Selbstverhältnisse von Kindern und Jugendlichen unter den Be-
dingungen des Lockdown und der sozialen Distanzierung verändert?
– In welcher Weise bestimmen/beeinträchtigen die verschiedenen Dimensionen der kul-
turindustriell geschürten und verbreiteten Angst (Angst vor Ansteckung und Tod; Angst
vor der neuen Physiognomie des Sozialen, wie sie durch Maskierung, durch die Einfüh-
rung sozialer Abstandsformationen in der Öffentlichkeit, das so genannte social distan-
cing, sowie durch eine beschleunigte Digitalisierungsstrategie hervorgerufen wird];
Angst vor negativen Sanktionierungen) die kindlichen und jugendlichen Zukunftsvisio-
nen und Lebensstimmungen?
– Zu welchen Bewältigungsstrategien greifen Kinder und Jugendliche angesichts der mas-
siven Einschränkungen und der sich ausweitenden sozialen Kontrolle ihres Lebens- und
Handlungsspielraums?
– Wie wirken sich das Prinzip der sozialen Distanzierung im Allgemeinen und die verän
derte Physiognomie des Sozialen im Besonderen auf die interpersonellen Beziehungs-
verhältnisse und insbesondere auf die Wahrnehmung und die Gefühlszustände von Kin-
dern aus?
– Welche möglichen (mittel- und langfristigen) Folgen kann die Einschränkung der hap-
tisch-taktilen und der interpersonellen Kommunikation im Prozess der Sozialisation
von Kindern aussen?
– Inwieweit erfahren Kinder noch Solidarität unter gesellschaftlichen Bedingungen, die
von den Direktiven sozialer Distanzierung, digitalisierter Kommunikation und Kontakt-
einschränkungen bestimmt werden? Welcher Schaden wird durch verweigerte Solidari-
tätserfahrungen angerichtet?
– Wie können die für eine demokratische Gesellschaft ebenso wie für eine emanzipative
Subjektwerdung unerlässlichen, während der Krise erkennbar unter Druck geratenen
Subjekteigenschaften (wie z. B. Reaktanz, geistiges Widerstandsvergen, Kritikfähig-
keit) restrukturiert und stabilisiert werden?
– Auf welche Weise können wir angesichts der autoritär verfügten, in Topdown-Strategi
en durchgesetzten politischen Maßnahmen und einer einseitigen Berichterstattung einen
demokratischen Diskurs mit Kindern und Jugendlichen organisieren, der die Gesell-
schaft insgesamt in ihrem kritischen Urteilsvermögen konsequent stärkt?

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