Bildung nach Corona – Ein Diskussionsangebot

 

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„Es darf nicht darum gehen, jetzt zurück in die Schulen von gestern zu gehen. Wir müssen in die Schulen von morgen.“

Andreas Schleicher, Welt 15.6.2020

Die Corona-Krise hat in der gesellschaftlichen Debatte zu erstaunlichen Einsichten geführt. Plötzlich sind Forderungen im Gespräch, die so konsequent vorher von den politischen Parteien nur DIE LINKE formuliert hat.

Das gilt auch für die Bildung:

  • Die Akzeptanz frühkindlicher Bildung und Betreuung – ganz unabhängig vom Erwerbsstatus der Eltern.
  • Die Anerkennung der Professionalität der Arbeit in Kitas, Schulen und Horten. Sie kann nicht einfach mal so von den Eltern übernommen werden.
  • Das Arbeiten in kleinen Lerngruppen/Klassen wird mehr wertgeschätzt.
  • Der Wert von Präsenzunterricht wird als wichtiger Weg zum Bildungserwerb und in seiner sozialen Dimension erkannt.
  • Die Notwendigkeit der Ausstattung aller Lernenden und Lehrenden mit geeigneten digitalen Endgeräten ist bewusst geworden.
  • Aber digitale Lernformen werden auch in ihrer Ambivalenz gesehen – nicht nur, weil Lehrende oft nicht gut genug darauf vorbereitet sind, sondern weil sie analoges Lernen nicht ersetzen sondern ergänzen, weil sie keinen Ersatz für Präsenzunterricht darstellen, weil digitale Lernangebote nicht die Fortsetzung des Frontalunterrichtes mit digitalen Geräten ist.
  • Die Notwendigkeit didaktischer Aufbereitung digitaler Lernangebote und die Entwicklung geeigneter Lernmethoden.
  • Die Notwendigkeit der Ausstattung der Schulen mit leistungsfähigem WLAN und ausreichender Software und dem dazugehörigen technischen Support.
  • Die Notwendigkeit geeigneter Lernbedingungen auch zu Hause, vor allem für Kinder, muss geschaffen werden (Wohnungsgröße, eigenes Zimmer) – ganz unabhängig vom Homeschooling.
  • Der Verbesserung des baulichen Zustandes der Schulen, insbesondere der sanitären Ausstattung aber auch z.B. Fenster zum Lüften.

 

Einig ist man sich jedoch in der Feststellung, dass die Schwächen des bundesdeutschen Schulsystems in der Krise besonders hervortreten.

Die Pandemie ist ein guter Anlass über Schule und Bildung neu nachzudenken. Aber die Chance bleibt vertan. Die grundlegenden Defizite des Bildungssystems werden nicht angegangen.

Es wird an alten Zöpfen festgehalten:

Jetzt, wo der Regelunterricht wieder losgeht, wird der Eindruck erweckt, man könne zu den alten Maßstäben zurückkehren – nur eben mit Hygienekonzept.

Sorgen macht man sich vor allem darüber, ob die alten Lehrpläne erfüllt, die alten Leistungsmessungen und die alten Abschlüsse erreicht werden können.

Daneben wird schon mal von „hybriden Lernformen“ gesprochen und von der notwendigen Individualisierung des Lernens. Vorteile des selbstständigen Lernens zu Hause werden betont, Vorteile des Blendet Learning beschworen und das „gleichschrittige Lernen“ kritischer gesehen.

Aber, bei der Suche nach Lösungen bleibt man in kurzschrittigem Denken stecken. Lösungen sind nur vermeintliche solche:

Das Heil wird derzeit vor allem in der Digitalisierung des Lernens und Lehrens gesucht. Dafür gibt es schon zahlreiche Studien und Konzepte. Diese Notwendigkeit stelle ich nicht infrage, aber sie ist kein Allheilmittel zur Überwindung der Defizite des deutschen Schulsystems. Und sie trifft auch nicht das Grundproblem des Versagens: weder die Re-Produktion sozialer Ungleichheit auch durch das System von Schule noch die unzureichenden Lernbedingungen und Lernergebnisse im internationalen Vergleich.

 

Stattdessen kommen zu den bekannten Defiziten (Reduzierung der schulischen Bildung auf das am Markt Benötigte – Vermarktungslogik, Privatisierung in allen Bildungsbereichen – bei weitem nicht nur durch die wachsende Zahl der Privatschulen, Erweiterung des Einflusses diverser Lobbygruppen auf schulische Bildung – oft mit bestechenden Konzepten, hinter denen die Zwecke nicht mehr gesehen werden.) neue hinzu. Einige Fragen sind kaum gestellt worden und gehen schon wieder unter. Hier ein paar Beispiele.

Zu befürchten ist z.B.,

  • Dass mit der Pandemie und den damit einhergehenden neuen Erfahrungen (Homeschooling) aus der (Personal-)Not der Versorgung mit ausreichendem Personal für alle Bildungsprozesse eine Tugend gemacht wird anstatt die Fehler zu beheben. Niemand spricht mehr von der Ausbildung von Lehr- und Betreuungskräften, Fachkräften für Schulsozialarbeit…
  • Hybrides Lernen: Lernen im Präsenzunterricht im Wechsel oder in Kombination mit dem Lernen zu Hause.
    • Was aber bedeutet das angesichts unterschiedlicher Lernvoraussetzungen?
    • Wie wird er Kontakt zu den Lehrenden gehalten? Oder werden Eltern wieder in Haftung genommen?
    • Welches Personal soll das digitale Arbeiten zu Hause begleiten, wo die Lehrkräfte schon für den Präsenzunterricht nicht ausreichen? Niemand spricht noch von mehr Ausbildung!
    • Wird die öffentliche Aufgabe damit nicht noch mehr in die private Zuständigkeit gedrängt?
  • Wo „hybride“ Lernformen verstetigt werden und dabei vor allem auf die Arbeit zu Hause gesetzt wird, werden Ganztagsschulen zur Disposition Denn: Wie vereinbart sich das mit den wachsenden Forderungen nach ganztägiger Bildung? Hat die Ganztagsschule schon wieder ausgedient? (Bertelsmann Studie: allein im Grundschulbereich sind Mehrkosten von 5,3 Mrd. € jährlich zu erwarten[1]) Blended Learning als Prinzip wird soziale Ungleichheit verstärken.
  • Wenn Präsenzunterricht in kleineren Lerngruppen absolviert wird oder werden muss, fehlt das Personal noch einmal mehr. Denn: Was wird mit den Lernenden in der Zeit, wo kein Präsenzunterricht stattfinden kann?
  • Da die vorhandenen Schulgebäude gar nicht für Lernen in kleineren Gruppen konzipiert sind, müsste in Schichten gearbeitet werden, was nicht nur personelle Konsequenzen hat.
  • Individualisierung des Lernens, weniger Lernen im Gleichschritt, aber wie soll das gehen bei möglichst gleichem Lehrplan für alle?

 

 

Wir fordern:

Schule muss eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe der öffentlichen Daseinsvorsorge sein und bleiben. Ihre Aufgabe ist vor allem eine solide Allgemeinbildung für alle.

Dafür sind die Bedingungen zu schaffen und alte Zöpfe zu hinterfragen! Die Schule nach Corona muss sich ändern!

  • Wir brauchen ein neues Verständnis von allgemeiner Bildung – jetzt erst recht!
  • Schleicher kritisiert das Lernen im Gleichschritt – aber wie soll das gehen bei dem alten Lehrplanverständnis.
  • Die ständigen Forderungen nach mehr Einheitlichkeit hindern massiv bei der notwendigen Reform.

 

Welche alten Zöpfe sollten wir hinterfragen?

Wir müssen den Unterschied zwischen Vergleichbarkeit, Gleichwertigkeit, das Gleiche und Dasselbe begreifen.

Die Forderung nach Vergleichbarkeit geht davon aus, dass Lernende überall das Gleiche lernen. Unter den Bedingungen zentraler Prüfungen bedeutet das aber, dass sie möglichst Dasselbe lernen sollen, damit der sichere Wissenserwerb abgeprüft werden kann.

Eine Studie[2] soll belegen, dass Absolvent*innen mit Zentralabitur noch Jahre danach das Wissen reproduzieren können. Aber kann das das Ziel sein? Und welches Wissen? Auf der einen Seite wird nur für Prüfungen Gelerntes schnell wieder vergessen, aber was besonders gepaukt wurde merkt man sich u.U. besonders lange (persönliche Beispiele benennen) – aber ist das das Ziel? Und warum merkt man es sich? Die Gründe dafür sind sehr unterschiedlich und erfordern eine besondere Beziehung zum jeweilig gelernten Stoff…Vor allem merkt man sich, was man sich selbst erarbeitet hat oder/ und anderen (erfolgreich) erklärt hat.

 

 

Zitat Inge von Wangenheim:

„So wird es allmählich zur Gewohnheit, Wissen mit Bildung zu verwechseln.
Bildung aber ist das, was übrigbleibt, wenn das Wissen bereits überholt oder nicht mehr zur Hand [ist]. Der Kopf ist zum Denken da nicht zum Merken. Bildung ist folglich die Krone des Wissens, der Endzweck aller Lernbemühungen, dessen Verwirklichung nicht anbefohlen, nicht nach einem Plan in wenigen Jahren hergestellt werden kann.“

Inge von Wangenheim: Genosse Jemand und die Klassik , Gedanken eines Schriftstellers auf der Suche nach dem Erbe seiner Zeit. Halle/Leipzig 1981, S.45

 

Zitat: aus der Erzählung „Morgen“von Robert Havemann (Havemann beschreibt eine Reise in das Land Morgen (Utopia) und wie die Menschen dort leben)

Robert Havemann über das Lernen 1976-80: „Und Lernen ist eine ihrer (der Utopier R.H.) Hauptbeschäftigungen. Sie fassen aber das Lernen nicht als Büffelei und ständiges Ansammeln von immer mehr Kenntnissen auf. Sie denken nicht daran, sich in lebende Enzyklopädien zu verwandeln, in denen extensiv Wissen angehäuft ist. Gerade weil sie über die großartigen Informationsarchive verfügen, lassen sie dies Wissen dort, wo es für uns parat liegt… Lernen heißt in Utopia erst einmal Kennenlernen. Die großen Werke der Weltliteratur lesen,… Kontakt bekommen mit der Kultur der Menschheit von ihrem Beginn bis in unsere Tage. Das ist ihr Lernen.“

Robert Havemann. Morgen. Die Industriegesellschaft am Scheideweg. Kritik und reale Utopie. Mitteldeutscher Verlag, Leipzig 1990, S. 86

Dasselbe lernen: Das geht schon dort nicht auf, wo es versucht wurde und wird, da Lehren und Lernen individuelle Prozesse sind und die Vielfalt des ständig zunehmenden Menschheitswissens nicht in den gleichen Unterrichtsstoff für die zehn, zwölf oder dreizehn Jahre Schulunterricht gepackt werden kann. Die Folge ist eine (enge, vermeintlich maßgebliche) Auswahl von Stoffen, an denen abgeprüft werden soll, ob alle das Gleiche wissen oder können. Das entspricht zunehmend weniger den Interessen Lernender und schränkt die Vielfalt der Angebote allgemeinbildender Schule erheblich ein. Es bildet auch nicht im Ansatz die Vielfalt der uns umgebenden Welt und ihrer Entwicklungsprobleme ab. Und es entspricht nicht der gesellschaftlichen Notwendigkeit allgemeiner Bildung.

Gleichzeitig ruft vor allem die Wirtschaftslobby, die Unterrichtsstoffe, also das in Schule zu vermittelnde Wissen darauf auszurichten, was für die Fitness auf dem Arbeitsmarkt gebraucht wird. Das wird verbunden mit der immer stärkeren Forderung nach besserer Berufsorientierung und meint, Grundlagen beruflicher Bildung schon in die allgemeinbildende Schule aufzunehmen (auch die Forderung nach polytechnischer Bildung wird diesem Paradigma unterworfen). Dies erscheint heute manchem ein Ausweg, aber:

Damit geht eine Entwertung und Einengung allgemeiner Bildung einher. Weiteres wird in die private Initiative verlagert.

Auch mit einer Kultivierung des Wechsels von Präsenzunterricht und Homeschooling ist zu erwarten, dass die sozialen Differenzen weiter verstärkt werden, dass die soziale Schere auseinandergeht. (Schleicher in einem Youtube-Interview: zu Hause Wissen aneignen, in der Schule nachfragen, was nicht verstanden wurde (Blendet Learning) – das bedeutet aufgeben von staatlicher Bildungsverantwortung und ihre Ablösung zu einer Art staatliches Unterstützungssystem für ansonsten privat verantworteten Bildungserwerb. Das Prinzip MILLA der Weiterbildung wird so auf den staatlichen Bildungsauftrag übertragen und damit zumindest teilweise ersetzt.

Andererseits hat er recht:

Andreas Schleicher: FR vom 1.2.19:

„Wir haben Schüler im 21. Jahrhundert, Unterricht aus dem 20. Jahrhundert und ein Schulsystem aus dem 19. Jahrhundert.“

Konsequenz: das Schulsystem muss verändert werden. Auch dazu sind alte Zöpfe zu hinterfragen.

So zum Beispiel das mit der Abschlussvergabe verbundene Berechtigungswesen, das Allgemeinbildungsverständnis aus dem 20. Jahrhundert und das Ausrichten von allgemeinbildender Schule an vermeintlichen Erfordernissen des Arbeitsmarktes.

Das Berechtigungswesen ist ein Zopf aus der Ständegesellschaft, nach der gymnasiale Bildung für den höheren Dienst Voraussetzung war. Das heißt es war (uns ist noch heute) ein Ausgrenzungsmechanismus, auch wenn er heute mehr und mehr Löcher bekommt. Mit der Vergabe von (formalen) Abschlüssen soll der Platz in der Gesellschaft zugewiesen werden.

Heute heißt das – und so ist das fast in allen Schulgesetzen der Länder heute noch nachzulesen:

  • Hauptschulabschluss befähigt zur Aufnahme einer einfachen beruflichen Ausbildung.
  • Realschulabschluss befähigt zur Aufnahme einer anspruchsvolleren beruflichen Ausbildung.
  • Abitur befähigt zu Aufnahme eines Studiums.

Diese formalen Qualifikationen sind allerdings durch den EQR gedeckt, sollen europäische Vergleichbarkeit vorgaukeln. Aber die Schulsysteme in den europäischen Ländern sind so unterschiedlich konzipiert, dass dies eigentlich nicht geht. Vielmehr wird versucht, ein im Ursprung ständisches Denken in einen europäischen Vergleichskatalog zu stecken. Dennoch gibt es die größten Probleme offensichtlich bei der Übertragung des EQR auf deutsche Verhältnisse…

Wozu aber braucht man formalisierte Abschlüsse in der allgemeinbildenden Schule, wenn nicht zur Zuweisung von Zugängen zu beruflicher Bildung? Schon die (umständlichere) Möglichkeit, Schulabschlüsse jeder Art nachholen zu können, belegt, dass die Zuweisung keine Aussage trifft über das Lern- und Leistungsvermögen von Menschen. (Ich will hier gar nicht mit prominenten Beispielen kommen, die in ihrer Schullaufbahn versagt haben und große Wissenschaftler (ich kenne nur Männer) geworden sind…

 

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Wohin muss die Reise gehen?

Zunächst zentrale Forderung: ernst nehmen, dass Präsenzlernen nicht veraltet.

  1. Schule braucht Fachkräfte!

Also: Ausbilden, ausbilden, ausbilden!

Vielleicht muss man darüber nachdenken, dass auch Lehramtsausbildungen Drittmittelfähig sind…

Hier noch mal Havemann: (S. 109): „Bei uns ist nämlich ein wichtiges Feld der menschlichen Tätigkeit, das für das Leben und die Kultur entscheidend ist und das ihr sträflich vernachlässigt habt, man kann schon sagen zum Hauptberuf für einen großen Teil unserer Bevölkerung geworden: Der Beruf des Lehrers und Erziehers…Die Tätigkeit der Lehrer und Erzieher schafft überhaupt erst die Grundlagen der utopischen Kultur. Psychologie und Politik sind bei uns hochentwickelte Wissenschaften geworden…“

  1. Lehrende und Lernende brauchen kleine Lerngruppen, damit Teamarbeit und kollaboratives Lernen nachhaltig wird. Lernen durch ausprobieren, Irrtum muss erlaubt sein.

 

  1. Bildung braucht Räume. Schulen müssen anders konzipiert werden. Inklusives Lernen ermöglichen. Vorschläge dafür sind vorhanden. (Montag-Stiftung, Architekt Otto Peters aus Magdeburg) Das heißt jetzt: Bei jedem Sanierungsprogramm entsprechende Forderungen aufmachen.

 

  1. Nicht nur Schulgebäude, auch außerschulische Lernorte sind nötig.

>>>Mobilität, Infrastruktur (Kultur, Sport, Freizeit) >>> Schulen öffnen, aber die staatliche Verantwortung nicht an außerschulische Akteure abgeben (Beispiel: Engagementlernen).

 

  1. Eine zukunftsfähige Schule braucht im 21. Jahrhundert ein anderes Allgemeinbildungskonzept. Was kann das sein? Nicht mehr Lernen im Gleichschritt, Vergleichbares Lernen ja, aber nicht unbedingt Dasselbe. Exemplarisches Lernen, Lernstrategien erwerben.

 

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Dazu etwas mehr:

Oft wird dann auf Humboldt verwiesen und meist dabei an einen festen Kanon von Wissenstatbeständen gedacht.

(Vgl. diverse Wissensshows – das muss man doch wissen!)

Bei Humboldt anknüpfen heißt nicht einen festen Wissenskanon zugrunde zu legen. Der Verweis auf Humboldt ist aber nur noch insofern wichtig, als es um das humboldtsche Prinzip geht: Allen eine (gleichwertige) allgemeine Bildung zu ermöglichen.

Zwei Zitate:

  1. v. Humboldt: Bericht an König Friedrich Wilhelm III. Zitiert nach DAS HUMBOLDTSCHE

BILDUNGSIDEAL von Andreas Beck 2015 Internetpräsenz Uni Koblenz

 

„Es gibt schlechterdings gewisse Kenntnisse, die allgemein sein müssen, und noch mehr eine gewisse Bildung der Gesinnung und des Charakters, die keinem fehlen darf. Jeder ist offenbar nur dann ein guter Handwerker, Kaufmann, Soldat und Geschäftsmann, wenn er an sich und ohne Hinsicht auf seinen besonderen Beruf ein guter, anständiger, seinem Stande nach aufgeklärter Mensch und Bürger ist. Gibt ihm der Schulunterricht, was hierfür erforderlich ist, so erwirbt er die besondere Fähigkeit seines Berufs nachher so leicht und behält immer die Freiheit, wie im Leben so oft geschieht, von einem zum anderen überzugehen.“

 

„Der Zweck des Schulunterrichts ist die Übung der Fähigkeiten, und die Erwerbung der Kenntnisse, ohne welche wissenschaftliche Einsicht und Kunstfertigkeit unmöglich ist. Beide sollen durch ihn vorbereitet werden; der junge Mensch soll in Stand gesetzt werden, den Stoff, an welchen sich alles eigne Schaffen immer anschließen muss; teils schon jetzt wirklich sammeln, teils künftig nach

Gefallen sammeln zu können, und die intellektuellmechanischen Kräfte auszubilden.“

 

Da steckt schon Vieles drin, was Forderung auch an eine moderne allgemeinbildende Schule sei kann. Da steckt kein Stoffkanon drin und auch keine Vereinseitigung auf Vermarktungsideologien.

 

Was könnte Allgemeinbildung heute sein – in einer Zeit, in der sich das Wissen der Menschheit in rasantem Tempo erweitert? Was ist die Auswahl? Ist es ein fester Stoffkanon? – davon geht die bildungspolitische Realität heute aus – aber ist das zeitgemäß?

  1. Solide Grundbildung (Kulturtechniken, Werteverständnis, Weltverständnis)
  2. Exemplarisches Lernen
  3. Lernen im Team, Kooperation
  4. Lernen durch Neugier
  5. Lernen an epochaltypischen Schlüsselproblemen (Klafki)

 

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Einschub Klafki:

Zwei Dimensionen von Bildung: eine persönlichkeits- und demokratieorientierte und eine inhaltlich bildungsorientierte.

Zur inhaltlich bildungsorientierten Dimension zählt er drei Aspekte:

  1. Bildung für alle
  2. Bildung im Medium des Allgemeinen
  3. Bildung auf die ganze Persönlichkeit gerichtet (Allseitigkeit).

 

Sein Plädoyer: das in Schule zu erwerbende Wissen an epochaltypischen Schlüsselproblemen zu orientieren:

Z.B.

  • Friedensfrage
  • Umweltfrage
  • gesellschaftliche produzierte Ungleichheit
  • Gefahren und Möglichkeiten der Technik
  • zwischenmenschliche Beziehungen…

Das soll an exemplarischen Beispielen und ausgehend von der Erfahrungswelt der Lernenden erarbeitet werden.

In der Konsequenz verbieten sich einheitliche Lehrpläne, fächerübergreifendes Arbeiten wird ebenso üblich wie die Konsistenz der Problemkreise über die Jahrgangsstufen hinweg.

Einschub:

Fotosysnthese, ökologische und soziale Nachhaltigkeit statt Zitronensäurezyklus

Ein Vorschlag:

Bei der Behandlung Lateinamerikas könnte verbunden werden:

Die Folgen der Abholzung des Regenwaldes (Bedeutung der Forosynthese, Biodiversität…) mit der sozialen Entwicklung Lateinamerikas (von der kolonialen Eroberung bis zur ökonomischen Ausbeutung heute durch entwickelte Industriestaaten). (A. Brie: „Es gibt kein Chile, das nicht auch in unserem Lande liegt“) Die Lage der armen Bevölkerung, das Leben in den Favelas, die Situation der indigenen Bevölkerung…) die kulturellen Traditionen der lateinamerikanischen Bevölkerung – von der Literatur (Seghers „Das wirkliche Blau“ oder Lyrik Nerudas) bis zur Farbigkeit und der kraftvollen Ausstrahlung von Werken der Bildender Kunst (z.B. Diego Rivera, Mexikanische Volkskunst), Tanz und Tradition (Karneval)… die Reihe der möglichen Unterrichtsgegenstände ließe sich fortführen und kann der Kreativität der Lehrenden und Lernenden überlassen werden.

Kein Lernen im Gleichschritt, sondern an den Bedarfen der Lernenden ausgerichtet. Exemplarisches Lernen sowie den Erwerb von Lernstrategien vermitteln. Dann aber verbieten sich auch einheitliche Prüfungen und wenn man schon auf Zertifikate nicht verzichten will, sind sie der Professionalität der Einzelschule und der Lehrenden zu übertragen.

Wer nun meint, damit würden Vergleichbarkeit und Abrechenbarkeit leiden, der schaue auf die Debatten der letzten Jahre, wo genau das trotz Vergleichsarbeiten und einheitlicher Prüfungen nicht erreicht werden konnte.

Dem Vertrauen in die Professionalität muss der Grundsatz folgen: Ein Abschluss ist ein Abschluss – er hat überall Gültigkeit. So kann man das übrigens noch in der KMK-Vereinbarung im §17(1) aus dem Jahre 1971 (1964 Hamburger Abkommen) lesen.

 

Und die Schulformen sind:

Hinzu kommen „Sonderschulen“ (§ 5). Im ursprünglichen Hamburger Abkommen fehlte die Förderstufe noch.

 

In der

Vereinbarung über die

Schularten und Bildungsgänge im Sekundarbereich I

(Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 03.12.1993 i.d.F. vom 02.06.2006)

Klingt das dann so:

  1. Anerkennung der Abschlüsse des Sekundarbereichs I

Die Abschlüsse und Berechtigungen gemäß den Ziffern 5 und 6 werden gegenseitig generell

anerkannt.

Abschlüsse und Berechtigungen an den im Folgenden aufgeführten Gesamtschulen mit besonderer Konzeption bleiben weiterhin anerkannt:

Berlin 1. Fritz-Karsen-Schule

  1. Bettina-von-Arnim-Oberschule

Hamburg Albert-Schweitzer-Schule

Niedersachsen Gesamtschule Göttingen-Geismar

Nordrhein-Westfalen 1. Gesamtschule Köln-Holweide

  1. Gesamtschule Köln-Höhenhaus.

 

Eigentlich noch ganz einfach und die Schulen, die sich besondere Rechte erkämpft hatten, werden geschützt.

Aber vorher stehen die Ziffern 5 und 6:

Vereinbarung über die

Schularten und Bildungsgänge im Sekundarbereich I

___________________________________________________________________________

(Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 03.12.1993 i.d.F. vom 02.06.2006)

 

5.Struktur der Abschlüsse am Ende des Sekundarbereichs I

Im Sekundarbereich I werden der Hauptschulabschluss und der Mittlere Schulabschluss vergeben.

5.1 Hauptschulabschluss

5.1.1 Am Ende der Jahrgangsstufe 9 besteht in allen Ländern die Möglichkeit, den Hauptschulabschluss als einen ersten allgemeinbildenden Schulabschluss zu erwerben. Er wird in der Mehrzahl der Länder als Hauptschulabschluss bezeichnet, in Brandenburg und Bremen als Berufsbildungsreife, in Mecklenburg-Vorpommern10 und Rheinland-Pfalz als Berufsreife.

5.1.2 Der Hauptschulabschluss wird an der Hauptschule oder in Bildungsgängen, die diesen Abschluss vorsehen, erteilt, wenn in allen Fächern wenigstens ausreichende Leistungen vorliegen.

5.1.3 Die Länder Bayern, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen differenzieren den Hauptschulabschluss und erteilen bei bestimmten Leistungen oder aufgrund einer zusätzlichen Leistungsfeststellung einen qualifizierenden Hauptschulabschluss.

Am Ende der Jahrgangsstufe 10 kann in den Ländern Berlin, Brandenburg, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern12, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein ein erweiterter Hauptschulabschluss oder die erweiterte Berufsbildungsreife nach den Bestimmungen dieser Länder erworben werden.

In Baden-Württemberg wird für entsprechend qualifizierte Schülerinnen und Schüler der Hauptschulbildungsgang mit dem Ziel des Erwerbs eines Mittleren Schulabschlusses um ein Jahr verlängert.

5.2 Mittlerer Schulabschluss

5.2.1 Der Mittlere Schulabschluss wird nach Maßgabe der Ziffern 5.2.3 bis 5.2.7 an allgemeinbildenden Schularten nach der 10. Jahrgangsstufe erworben.

5.2.2 Der Mittlere Schulabschluss wird in der Mehrzahl der Länder als Realschulabschluss bezeichnet, in Brandenburg und Nordrhein-Westfalen als Fachoberschulreife, in Mecklenburg- Vorpommern als Mittlere Reife, in Rheinland-Pfalz als Qualifizierter Sekundarabschluss I, im Saarland als Mittlerer Bildungsabschluss.

5.2.3 An der Realschule wird dieser Abschluss erworben, wenn am Ende der Jahrgangsstufe 10 in allen Fächern mindestens ausreichende Leistungen erbracht wurden.

5.2.4 An Schularten mit mehreren getrennten Bildungsgängen wird am Ende der Jahrgangsstufe 10 der Mittlere Schulabschluss erworben, wenn in der auf diesen Abschluss bezogenen Klasse[3] in allen Fächern mindestens ausreichende Leistungen erbracht wurden.

5.2.5 An Schularten mit integrierten Bildungsgängen und leistungsdifferenziertem Unterricht gemäß Ziffer 3.2 wird am Ende der Jahrgangsstufe 10 der Mittlere Schulabschluss erworben, wenn die Teilnahme in mindestens zwei Fächern der oberen bzw. – bei Differenzierung auf drei Anspruchsebenen – der mittleren Anspruchsebene vorliegt. In den Fächern der oberen bzw. mittleren Anspruchsebene müssen mindestens ausreichende, in den Fächern der unteren Anspruchsebene mindestens befriedigende Leistungen erbracht werden.

In den ohne Fachleistungsdifferenzierung geführten abschlussrelevanten Fächern sind mindestens in zwei Fächern befriedigende, in den anderen Fächern mindestens ausreichende Leistungen erforderlich.

5.2.6 Am Ende der Jahrgangsstufe 10 kann an der Hauptschule der Mittlere Schulabschluss erworben werden,

– wenn am Ende einer für besonders qualifizierte Schüler eingerichteten Klasse 10, deren Anforderungen generell auf den Mittleren Schulabschluss ausgerichtet sind, in allen Fächern

mindestens ausreichende Leistungen erbracht wurden, oder – wenn in allen Fächern im Durchschnitt mindestens befriedigende Leistungen erbracht wurden; in Kursen, die auf den Mittleren Schulabschluss bezogen sind, genügen ausreichende Leistungen.

5.2.7 Am Gymnasium kann am Ende der Jahrgangsstufe 10 nach den Bestimmungen der Länder der Mittlere Schulabschluss oder ein ihm gleichgestellter Abschluss erworben werden.

5.3 Ausgleichsregelungen

Bei den Abschlüssen nach Ziffer 5.1 und 5.2 sowie bei den Berechtigungen nach Ziffer 6 richtet sich der Ausgleich bzw. die Nichtberücksichtigung von Minderleistungen nach den Bestimmungen des jeweiligen Landes.

5.4 Abschlüsse des Sekundarbereichs I an der Berufsschule

An der Berufsschule können der Hauptschulabschluss und der Mittlere Schulabschluss entsprechend den Bestimmungen der Kultusministerkonferenz erworben werden.

  1. Berechtigungen

6.1 Der Hauptschulabschluss wird zur Aufnahme einer dualen Berufsausbildung genutzt und berechtigt weiterhin zum Eintritt in das Berufsgrundbildungsjahr sowie unter bestimmten Voraussetzungen in Berufsfachschulen. Außerdem ist er Voraussetzung für den späteren Eintritt in bestimmte Fachschulen und Einrichtungen des Zweiten Bildungsweges.

6.2 Der Mittlere Schulabschluss berechtigt zum Eintritt in weiterführende schulische Bildungsgänge, z.B. in spezielle Berufsfachschulen und Fachoberschulen.

6.3 Die Berechtigung zum Besuch der gymnasialen Oberstufe wird erworben, wenn

(a) in einem auf die Allgemeine Hochschulreife ausgerichteten Bildungsgang in allen versetzungsrelevanten Fächern mindestens ausreichende Leistungen erbracht wurden,

(b) in einem Bildungsgang, der generell auf den Mittleren Schulabschluss ausgerichtet ist, der

Mittlere Schulabschluss erworben und in Deutsch, Mathematik und einer Fremdsprache

gemäß Ziffer 4.1.2 oder 4.1.3 (Satz 2) im Durchschnitt mindestens befriedigende Leistungen

und in allen versetzungsrelevanten Fächern im Durchschnitt mindestens befriedigende

Leistungen erreicht wurden.

(c) in einem Bildungsgang mit Fachleistungsdifferenzierung gemäß Ziffer 3.2 folgende Voraussetzungen erfüllt sind:

  1. Bei Fachleistungsdifferenzierung auf zwei Anspruchsebenen ist die Teilnahme am

Unterricht in drei Fächern, zu denen mindestens zwei der Fächer Deutsch, Mathematik

und eine Fremdsprache gemäß Ziffer 4.1.2 oder 4.1.3 (Satz 2) gehören auf der

oberen Anspruchsebene erforderlich. In diesen Fächern und in den ohne Fachleistungsdifferenzierung geführten abschlussrelevanten Fächern müssen im Durchschnitt

mindestens befriedigende Leistungen erbracht werden. In den Fächern der unteren

Anspruchsebene müssen im Durchschnitt mindestens gute Leistungen erbracht werden.

  1. Bei einer durchgehenden Fachleistungsdifferenzierung auf drei Anspruchsebenen ist

die Teilnahme am Unterricht in drei Fächern, zu denen mindestens zwei der Fächer

Deutsch, Mathematik und eine Fremdsprache gemäß Ziffer 4.1.2 oder 4.1.3 (Satz 2)

gehören, auf der obersten Anspruchsebene erforderlich. In diesen Fächern müssen

mindestens ausreichende, in den Fächern der mittleren Anspruchsebene mindestens

befriedigende und in den Fächern der unteren Anspruchsebene mindestens gute Leistungen

erbracht werden. In den ohne Fachleistungsdifferenzierung geführten abschlussrelevanten

Fächern sind im Durchschnitt mindestens befriedigende Leistungen erforderlich.

Bei einer nicht durchgehenden Fachleistungsdifferenzierung auf drei Anspruchsebenen

sind die genannten Regelungen für eine Fachleistungsdifferenzierung auf zwei

Anspruchsebenen sinngemäß anzuwenden.

Ist der Unterricht in abschlussbezogenen Fächern (z.B. Wahlpflichtfächern) lehrplanmäßig

auf die gymnasiale Oberstufe ausgerichtet, so genügen in diesen Fächern ausreichende

Leistungen. In Bayern werden Schülerinnen und Schüler, die eine andere Schule als das Gymnasium besucht haben, mit einer Berechtigung gemäß Ziffer 6.3 Buchstaben (b) und (c) 1 dieser Vereinbarung in die gymnasiale Oberstufe unter den besonderen Bedingungen aufgenommen, die in Bayern für Realschüler gelten.

Hinsichtlich des Unterrichts in einer zweiten Fremdsprache gelten die Bestimmungen der

„Vereinbarung zur Gestaltung der gymnasialen Oberstufe in der Sekundarstufe II“, Beschluss

der Kultusministerkonferenz vom 07.07.1972, in der jeweils geltenden Fassung.

 

Wer da noch durchschaut!!!  Durch die ständigen Veränderungen in der Folge unterschiedlicher Regierungskonstellationen sind immer neue „Korsettstangen“ in die Regelungen eingeführt worden, deren Ziel es war, die ursprünglichen ausgrenzenden Bedingungen des gegliederten Schulsystems über den Weg der vermeintlichen Vergleichbarkeit (Einheitlichkeit) wieder durchzusetzen.

Darum gehört zur Umgestaltung des Schulwesens unbedingt eine rigide Entbürokratisierung.

Die notwendigen Veränderungen in der inneren und äußeren Struktur der allgemeinbildenden Schule in Deutschland sind grundsätzlicher Natur und stellen althergebrachtes und tief verwurzeltes bildungspolitisches Denken infrage. Das gilt auch für weite Kreise linker Bildungspolitik und Pädagogik und auch für unsere Partei.

Dass etwas im bestehenden System nicht geht, bedeutet nicht, dass es falsch ist. Unsere Aufgabe muss es sein, im Interesse besserer, modernerer, nachhaltiger Bildung gegen den Mainstream zu schwimmen.

Sicher wird es keinen Umsturz geben können, solange die gesellschaftliche Debatte zu mehr Einheitlichkeit und Justiziabilität geht – will sagen, solange mit der Auffassung von Bildung als Reproduktionsmaschine für gesellschaftliche Zuordnung – nicht aufgeräumt ist. Gerade darum aber müssen wir die Debatte jetzt und mit langem Atem führen und es wäre schön, aus der Wissenschaft Unterstützung zu erhalten. Ohne ein gesellschaftliches Umdenken wird es kein politisches Umdenken geben, bleiben die Schulen im Sumpf der Vergangenheit stecken.

 

[1] Klaus Klemm, Markus Sauerwein und Dirk Zorn Kosten der Anpassung bestehender

Ganztagsgrundschulen an die Vorgaben des angekündigten Rechtsanspruchs, Bertelsmann-Stiftung | Dezember 2019

[2] Quelle: https://www.iab-forum.de/das-bundesweite-zentralabitur-ein-richtiger-ansatz-aber-kein-allheil

mittel/

[3] Äußere Fachleistungsdifferenzierung

Ein Gedanke zu “Bildung nach Corona – Ein Vortrag von Rosi Hein”

  • Der Text könnte interessant sein, seine Darstellungweise ist derart nervig, dass das einem die Freude am Lesen nimmt. Offensichtlich handelt es sich um einen Foliensatz, vielleicht könnte dieser Online gestellt werden?

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