Als Teilnehmer der Tagung „Bitte warten – Sie werden platziert“ am 23.11.2018 in Berlin verstehe ich die Kontroverse nicht wirklich. Klar, die Überschrift im ND ist erschreckend, und sie ist falsch. Wer immer sie zu verantworten haben mag. Klaus Klemm aber hat, unter der in ihrer Dialektik sehr nachdenklich machenden Überschrift „Wer aufsteigt, schafft das Tal nicht ab“, aus meiner Sicht eine sehr klare Analyse vorgelegt; man hätte sie auch anders formulieren können: die Bildungsoffensive der 70er und 80er war so erfolgreich, dass die Aufgestiegenen das Tal brauchen, um weiter oben zu sein. Eine Erkenntnis, die schon in den Achtzigern auf der Hand lag. Damals hatte ich, als GEW-Vorsitzender NRW, zu erleben, wie die damals mit absoluter Mehrheit regierende SPD noch nicht einmal innerhalb ihrer Fraktion eine Mehrheit für eine stärkere Expansion der Gesamtschule zustande brachte; der Grund hierfür, der mir von Abgeordneten auch ganz offen dargelegt wurde, war weniger: damit gewinnt man keine Wahlen, das auch, sondern mehr: glaubst du wirklich, dass Bildungsaufsteiger an der Gleichheit interessiert sind? Also genau das, was Klaus dargelegt hat. Nicht zu unterschlagen ist auch das klägliche Ende der Schwierschen Kooperativen Schule, dieses halbherzigen Versuchs, so etwas wie Schulgemiensamkeit (also noch nicht einmal Gemeinsames Lernen für alle) zustande zu bringen.
Mir stecken die damaligen Debatten noch so in den Knochen, dass ich Klaus‘ Hinweis, auf diese Debatten habe er keine Lust mehr, sehr erfrischend und nachvollziehbar fand und finde. Übrigens auch die Auseinandersetzungen habe ich nicht vergessen, die von Gesamtschulseite geführt wurden: dass gute Pädagogik aus prinzipiellen Erwägungen nur in Gesamtschulen stattfinden könne, dass gegen die 6-jährige Grundschule spräche, dass man dann die Kinder noch später bekomme und gut erziehen könne – allen Ernstes, solche „Argumente“ wurden von – keineswegs namenlosen! – Gesamtschulvertretern ins Feld geführt. Richtig, ins Feld geführt: denn es hatte manchmal Züge von Kriegsführung. Solchen Kram sollte man hinter sich lassen.
Ich kann auch nicht sagen, dass die von Klaus Klemm in Ansatz gebrachte Positive Diskriminierung erstens sonderlich neu ist (wir haben sie schon in den Siebzigern innerhalb der GEW diskutiert und, etwa im Zusammenhang mit den Kommunalen Schulentwicklungsplanungen, auch öffentlich gefordert), und zweitens als sozusagen ersetzendes Mittel zu verstehen gewesen sei.
Der Kern der Debatte kann doch nicht sein, dass eine bestimmte Schulorganisationsform (die, ob sie Gesamtschule oder Universitätsschule oder Laborschule oder wie auch immer heißen mag) das Ziel aller Bemühungen sein kann, sondern: gute Schulen (Bildung) für alle. Und da hilft es nicht, über den Abbau von Privilegien der Gymnasien zu reden; das ist eine, aus vielerlei hier nicht einzeln zu diskutierenden Gründen, nicht bestehbare Auseinandersetzung. Da hilft nur, sich auf die Bildungsbenachteiligten zu konzentrieren, ihnen optimale Bildungschancen zu bieten; das kostet Geld, viel Geld, und qualifizierte Planung und Wissenschaft allemal.
Nein, Joachim Lohmann, ich widerspreche Dir entschieden: weder denken Fürsprecher der Zweigliedrigkeit in „überholten Strategien“, noch geht es um eine „Vereinigung von Gesamtschule und Gymnasium“. Damit wird der Blick genau auf ein Schulsegment verengt, der Blick etwa auf Berufskollegs und auf Grundschulen geht verloren. Ich teile die von Klaus Klemm vertretene Auffassung, dass der Blick sich auf diejenigen richten muss, die erschreckend deutlich und belegbar benachteiligt sind.
Wenn Klaus Klemm der Vorwurf gemacht werden sollte, er sei gegen die Gesamtschule als einer Orientierung auf längeres gemeinsames Lernen und Bildungschancen für alle, dann ist dieser Vorwurf erstens falsch, zweiten lässt er sich nicht aus seinen Darlegungen belegen, und drittens würde ich mich dann stolz auch diesem Vorwurf aussetzen lassen. Überflüssig zu sagen, dass ich mich des Ziels einer gemeinsamen Schule (Bildung) für alle mehr als je verbunden und verpflichtet fühle.
Und ein allerletztes: Natürlich kann reiner Pragmatismus zu Orientierungslosigkeit führen. Einerseits. Andererseits aber gibt es auch die List der Umwege. Und eben genau darum ist es wichtig, sich der lohnenden und tatsächlichen Ziele zu vergewissern.