Zum einen erscheint mir der hier und da enthaltene Rückblick auf das 1978 gescheiterte Projekt „Kooperative Schule in Nordrhein-Westfalen“ sehr verkürzt, zum anderen ist die Sicht auf das Erreichte doch arg pessimistisch.

Zur „Kooperativen Schule“: Das Projekt wurde 1976 in kleiner Runde im Dortmunder IFS ins Leben gerufen und nach einem Volksbegehren zwei Jahre später beerdigt. Die Kernelemente der Kooperativen Schule waren ihr Angebotscharakter für Schulträger, gemeinsamer Unterricht in den Jahrgangsstufen 5 und 6 sowie die Vollständigkeit des weiterführenden Schulwesens in schulrechtlicher Einheit. Am einfachsten lässt sich das Konzept der Kooperative Schule mit den in Hessen (damals wie heute) reichlich vorhandenen kooperativen Gesamtschulen vergleichen. Verantwortlicher Schulminister war 1976 Jürgen Girgensohn, das Konzept hingegen wurde maßgeblich vorangetrieben durch den schulpolitischen Sprecher der SPD-Fraktion, Hans Schwier (Girgensohns Nachfolger im Amt). Der Konflikt lies keine argumentative und rhetorische Niederung aus. Auch deshalb habe ich mir  1980 im Rahmen meiner Dissertation (Buchtitel: Schulpolitik durch Volksbegehren. Analyse eines gescheiterten Reformversuchs“. Beltz) gewissermaßen den Frust von der Seele geschrieben. Aber wie das so ist bei schulpolitischen Vorhaben, die von einer wie auch immer gearteten reinen Lehre abweichen: Die die Unterstützung der kooperativen Schule durch die bekannten Reformverdächtigen hielt sich in überschaubaren Grenzen. Das gilt eingeschränkt für die Landes-SPD und nahezu uneingeschränkt für die Landes-GEW. Auf der anderen Seite formierten sich zehn Eltern- und Lehrerverbände mit nachdrücklicher Unterstützung durch die Kath. Kirche und der Landes-CDU zu einer enthusiastischen Verhinderungs-Koalition gegen längeres gemeinsames Lernen. Da spielte es keine Rolle, dass die Kath. Kirche zu dieser Zeit Trägerin zweier integrierter Gesamtschulen war und die CDU erst wenige Jahre zuvor gefordert hatte, das gesamte (!) weiterführende Schulwesen in kooperative Systeme überführen zu wollen.

In der abschließenden Lesung des Gesetzesvorhabens, mit der das Projekt beendet wurde, prophezeite Hans Schwier im Landtag, dass viele Schulträger der verpassten Chance noch nachtrauen würden. Er sollte Recht behalten, wie die starke Expansion der Gemeinschafts- und Sekundarschulen ab 2005 in ländlichen Regionen gezeigt hat, also ausgerechnet dort, wo das Volksbegehren die meiste Unterstützung erfahren hatte.

Die Niederlage der SPD beim Volksbegehren 1978 wurde als Menetekel für das Abschneiden der Partei bei der Landtagswahl 1980 betrachtet. Es kam anders: Johannes Rau gewann die absolute Mehrheit und sorgte dafür, dass die 32 Gesamtschulen in Nordrhein-Westfalen aus dem Schulversuchsstatus ins Regelschulwesen überführt wurden. Im Schuljahr 2017/18 gab es im Land Nordrhein-Westfalen 455 Schulen des längeren gemeinsamen Lernens, darunter 334 Gesamtschulen.

Womit ich zum notorischen Pessimismus der Linken überleite. Da wird immer wieder pragmatisch oder gar scheinheilig betont, der Übergang in ein zweigliedriges Schulsystem – Gymnasium vs. Schule(n) des längeren gemeinsamen Lernens – sei unter den obwaltenden Umständen erst einmal unvermeidlich. Mal abgesehen davon, dass es für die Abschaffung des Gymnasiums nicht einmal bei Parlamentariern der Linken eine Mehrheit gibt (und anderswo sowieso nicht), stellt sich mir die Frage, ob jemand die tiefgreifenden strukturellen Veränderungen der letzten Jahre in den meisten Bundesländern verschlafen haben könnte. Christian Füller, restaurativer Absichten unverdächtiger Bildungsredakteur der TAZ und freier Mitarbeiter bei „Spiegel-online“, hat unlängst in einer Buchpublikation Bilanz gezogen („Muss mein Kind aufs Gymnasium? Bildungserfolg ohne Druck.“ Dudenverlag Berlin 2018). Man möge mir meine Eitelkeit verzeihen, aber da findet sich auf S. 89 eine Würdigung meines Gutachtens für Schleswig-Holstein aus dem Jahr 2005. Darin habe ich das Konzept einer Gemeinschaftsschule entwickelt und begründet. Ich zitiere Füller S. 89 f.: „Rösners Gutachten wirkte jedoch nicht nur in den nördlichsten Bundesland, sondern bedeutete bundesweit die Initialzündung für die wohl weitreichendste Schulstrukturreform seit dem Beginn des gegliederten Schulwesens im Jahr 1788. Die Folgen sind heute überall in Deutschland sichtbar: durchgehend zweigliedriges Systeme in Schleswig-Holstein und im Saarland sowie in Berlin, Hamburg und Bremen. Auch die großen Länder Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Baden-Württemberg haben Gemeinschaftsschulen oder Schularten eingeführt, die integrativ sind. Ihre Zahl hat sich seit dem Jahr 2008 verdreifacht.“

Nun muss mir niemand sagen, dass diese Veränderungen durchgängig erfolgreich waren. Da gibt es mehr Baustellen, als einem notorischen Schulreformer wie mir lieb sein können, da gibt es leider auch viel zu viele Politikverantwortliche, die mit dem Chancen der neuen System nicht verantwortlich umgehen können oder wollen, weil sie beispielsweise immer noch Merkmale des herkömmlichen Schulsystems als Referenzgrößen mit sich schleppen. Aber da gibt es – Füller beschreibt es anschaulich – auch eine wachsende Zahl von integrativ arbeitenden Schulen, die sich ihrerseits zu Referenzgrößen für zeitgemäße neue Schulen gemausert haben. Das könnten die Anknüpfungspunkte für künftigen Wandel sein. Manchmal sogar für die innere Entwicklung der Gymnasien.

Mein Rat an die Verzweifelten: Schluss mit Traumtänzereien, raus aus dem Schmollwinkel, rein in die Niederungen der Realität, in die „Mühen der Ebenen“ (Brecht). Da gibt es verdammt viel zu tun.

2 Gedanken zu “Dr. Ernst Rösner: Raus aus dem Schmollwinkel, rein in die Niederungen der Realität”

  • Dass die Zweigliedrigkeit nicht zur einen Schule für alle führt, ist mir völlig klar und bewusst, sie ist auch kein logischer oder wünschenswerter Schritt. Die Realität ist in Hessen, dass viele neue IGS sehr attraktiv für alle Eltern sind, wenn sie sich als Selbstständige Schule auf den Weg machen die Abläufe, inneren Strukturen und das Lernen anders anzulegen. Das ist dann aber keine politisch verantworteter Weg der Veränderung sondern schlicht nur durch den Impetus der Kollegien und der Schulleitungen bedingt. Unser Lamento darüber hilft auch nicht weiter, es bedarf der massiven Unterstützung dieser positiven Beispiele, ihre permanente Benennung bei den bildungspolitisch Zuständigen in den Parteien – und aus meiner Sicht der verstärkten Betonung der gesellschaftlichen Wirkungen unseres Systems – neben den Belegen für das Scheitern: die v´57000 verfehlten Abschlüsse, die 160ooo Sitzenbleiber, die 2,6 Mio ohne Ausbildung. Jede Menge Scheiternserfahrung und geknickte Lernbiografien ermutigen nicht zur Teilhabe – die bürgerlichen Meritokraten von der FDP bis zur SPD nehmen das für die Beibehaltung der undemokratischen Hierachisierung durch das Schulsystem gerne in Kauf, das ist der eigentliche Skandal.
    Also die unabweisbaren Beispiele hervorheben, wie die aus einer sterbenden „Werkrealschule“ zu einer der erfolgreichsten Gemeinschaftsschulen mit Bestabitur mutierte Alemannenschule am Hochrhein!
    Und Kolleginnen ermutigen, Ansätze unterstützen die so zu einem anderen Menschen und Schulbild führen und den Widerspruch zu der alltäglich herrschenden und scheinheilig gut geheißenen schulischen Realität offensichtlich werden lassen. Gesprächskreise brauchen wir dann, um konkret zu beraten wie wir Praxis und Öffentlichkeit überhaupt erreichen, Beispiele für eine andere Realität wirksam werden zu lassen.

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