Da die Gesamtschulreformen der Vergangenheit mein Promotionsthema waren – auch aus der Motivation heraus zu verstehen, warum wir damit in Deutschland nicht weiterkommen – möchte ich mich auch noch mal zu Wort melden.

Ich habe in meiner Dissertation die Gesamtschulreformen und sonstigen Reformdiskurse in NRW der 1950er bis Anfang 1980er Jahre verglichen mit den gleichzeitigen Schulreformen hier in Norwegen (ich bin an der Uni Bergen). Dass die damaligen Zusammenstösse vielen noch in den Knochen stecken (und indirekt selbst Leuten wie mir, die damals noch gar nicht geboren waren), ist ein nicht zu unterschätzender Faktor. Was Alf Hammelrath hier schreibt, haben mir in meinen Zeitzeugeninterviews zahlreiche Leute ganz ähnlich dargelegt. Das Problem war damals schon, dass es nicht mal innerhalb der SPD eine Mehrheit für Gesamtschulreformen gab, sondern dass die SPD in der Bildungspolitik gespalten war. Führende SPD Leute standen nie wirklich hinter der Gesamtschule und viele hatten auch einfach keine Ahnung, weshalb die Forderung nach Gesamtschulen so wichtig sein solle. Für die war es ausreichend, das Gymnasium für Arbeiterkinder stärker zu öffnen. Das steht in krassem Kontrast zur norwegischen Arbeiterpartei, für die Gesamtschulreformen ein wichtiger Teil ihrer Nachkriegsagenda waren.

Meine These ist, dass die Unentschiedenheit der SPD in dieser Frage unter anderem ein Ergebnis des deutschen Antikommunismus und der daraus resultierenden Spaltungen der Arbeiterbewegung war. Die GEW war damals in diverse Fraktionen gespalten, die SPD hat sich über Zusammenarbeit mit Kommunisten und Berufsverbote gestritten, während die CDU das ganze immer schön weiter anfachen konnte mit dem Hinweis, die SPD wolle ja die “sozialistische Einheitsschule”. Der Vergleich mit der DDR stand immer im Raum. Sozialdemokraten hatten Mühe, sich gegen solche Anschuldigungen zur Wehr zu setzen.

Dazu kommt, dass diese Angstmacherei auch sehr effektiv dabei war, Bevölkerungsgruppen gegen die Gesamtschule aufzubringen, die rein rational betrachtet von ihr profitiert hätten. Die CDU hat in Deutschland erfolgreich zum einen über den Antikommunismus, zum anderen aber auch über die Konfessionsfrage, die ländliche Bevölkerung eingebunden, die damit für Bündnisse für die Gesamtschule ausgefallen ist. Das hat man beim Volksbegehren in NRW sehr gut gesehen: Die meisten Katholiken auf dem Land waren gegen die Gesamtschule, unabhängig von ihrer Klassenlage. Ich denke, dass all diese Faktoren heute immer noch nachwirken. Leider führt das dazu, dass Leute gegen die Gesamtschule sind, ohne genau zu wissen warum – einfach weil es ein Teil des Politikpakets der CDU ist. Und unter den Anhängern der Gesamtschule gibt es die verbreitete Ansicht, dass der Vorschlag, bis zur 10. Klasse eine Gesamtschule einzuführen und das Gymnasium auf die Oberstufe zu reduzieren, auf eine „nicht bestehbare Auseinandersetzung“ (wie Alf Hammelrath es nennt) hinauslaufe. Diese ideologische Hegemonie der CDU ist das Kernproblem. Sie ist historisch gewachsen und wird sicher nicht über Nacht verschwinden.  

Ich glaube aber, dass man durchaus Politik machen kann, die diese Hegemonie zumindest verstärkt ins Wanken bringt. Der erste Schritt dazu ist mal, in den eigenen Kreisen, ob das nun in der LINKEN, in der SPD oder in den Gewerkschaften ist, konsequent für die Gesamtschule aufzuklären. Man muss die gleichen Argumente mit voller Überzeugung immer wieder wiederholen, auf Skandinavien verweisen usw. Ich denke, wir brauchen dringend mehr Leute, die sich diese Mühe machen. Man sollte niemals aus strategischen Gründen die eigene Position von vornherein abschwächen, aus dem einfachen Grund, dass die entscheidenden Argumente dann gar nicht vorgetragen werden und viele Menschen sie daher niemals zu hören bekommen. Das ist keine List, sondern einfach nur ein Nachgeben als Reaktion auf die CDU Hegemonie und die verlorenen Kämpfe der Vergangenheit.

Gleichzeitig halte ich die Zweigliedrigkeit für einen Schritt in die richtige Richtung. Ich denke, jegliche Reduzierungen der Anzahl von Schulformen ist gut. Denn wenn man nur noch zwei Säulen hat, ist es gut möglich, dass in der nächsten Reformphase (selbst wenn das erst in 25 Jahren oder so ist), diese Säulen stärker verbunden oder zusammengelegt werden, vielleicht bis zu 10. Klasse. Die Kinder im Alter von 10 Jahren zu trennen, ist doch einfach langsam anachronistisch. Ich glaube nicht, dass das in Deutschland immer so sein wird. Gut, es ist jetzt seit ca. 100 Jahren so, aber das reicht dann auch langsam. Irgendwann wird eine Veränderung eintreten. Wenn man dazu beitragen will, dass das eher früher als später passiert, sollte man sich vor allem nicht unterkriegen lassen – und versuchen, Bündnispartner auch außerhalb der „üblichen Verdächtigen“ zu rekrutieren, zum Beispiel beim VBE und, ja, auch bei der CDU.

 

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