Rosi Hein hielt bei dem Fachgespräch am 28.11.20 unter dem Titel “Was sich nach Corona dringend ändern muss” den folgenden Vortrag:

Bildung nach Corona – Ein Diskussionsangebot

Es darf nicht darum gehen, jetzt zurück in die Schulen von gestern zu gehen. Wir müssen in die Schulen von morgen.“ Andreas Schleicher, Welt 15.6.2020

Genau das wird aber derzeit von der Bildungspolitik versucht. Aber: Die Corona-Krise hat in der gesellschaftlichen Debatte zu erstaunlichen Einsichten geführt. Plötzlich sind Forderungen im Gespräch, die so konsequent vorher von den politischen Parteien nur DIE LINKE formuliert hat.

Das gilt auch für die Bildung:

Rosi Hein ist Bildungspolitikerin bei der Linken
  • Die Akzeptanz frühkindlicher Bildung und Betreuung – ganz unabhängig vom Erwerbsstatus der Eltern.
  • Die Anerkennung der Professionalität der Arbeit in Kitas, Schulen und Horten. Sie kann nicht einfach mal so von den Eltern übernommen werden.
  • Das Arbeiten in kleinen Lerngruppen/Klassen wird mehr wertgeschätzt.
  • Der Wert von Präsenzunterricht wird als wichtiger Weg zum Bildungserwerb und in seiner sozialen Dimension erkannt.
  • Die Notwendigkeit der Ausstattung aller Lernenden und Lehrenden mit geeigneten digitalen Endgeräten ist bewusst geworden.
  • Digitale Lernformen werden aber auch in ihrer Ambivalenz gesehen – nicht nur, weil Lehrende oft nicht gut genug darauf vorbereitet sind, sondern
    • weil sie analoges Lernen nicht ersetzen sondern ergänzen,
    • weil sie keinen Ersatz für Präsenzunterricht und soziale Kontakte beim Lernen darstellen,
    • weil digitale Lernangebote nicht die Fortsetzung des Frontalunterrichtes mit digitalen Geräten ist.
  • Die Notwendigkeit didaktischer Aufbereitung digitaler Lernangebote und die Entwicklung geeigneter Lernmethoden.
  • Die Notwendigkeit der Ausstattung der Schulen mit leistungsfähigem WLAN und ausreichender Software und dem dazugehörigen technischen Support.
  • Die Notwendigkeit geeigneter Lernbedingungen auch zu Hause, vor allem für Kinder, muss geschaffen werden (Wohnungsgröße, eigenes Zimmer) – ganz unabhängig vom Homeschooling.
  • Der Verbesserung des baulichen Zustandes der Schulen, insbesondere der sanitären Ausstattung aber auch z.B. Fenster zum Lüften.

Einig ist man sich jedoch zumindest im linken Spektrum in der Feststellung, dass die Schwächen des bundesdeutschen Schulsystems in der Krise besonders hervortreten.  Die Pandemie ist ein guter Anlass über Schule und Bildung neu nachzudenken. Aber die Chance bleibt bisher vertan. Die grundlegenden Defizite des Bildungssystems werden nicht angegangen. Das sieht man auch daran, dass jetzt das Heil wieder im Wechselunterricht gesucht werden muss. Es wird an alten Zöpfen festgehalten:

Als nach den Sommerferien der Regelunterricht wieder losging, wurde der Eindruck erweckt, man könne zu den alten Maßstäben zurückkehren – nur eben mit Hygienekonzept. Sorgen machte man sich vor allem darüber, ob die alten Lehrpläne erfüllt, die alten Leistungsmessungen und die alten Abschlüsse erreicht werden können. Vor allem darum und wegen der wirtschaftlichen Folgen scheut man jetzt vor Schulschließungen zurück. Mehr wird aber von „hybriden Lernformen“ gesprochen und von der notwendigen Individualisierung des Lernens. Vorteile des selbstständigen Lernens zu Hause werden betont, Vorteile des Blendet Learning beschworen und das „gleichschrittige Lernen“ von manchem (Schleicher) kritischer gesehen. Aber, bei der Suche nach Lösungen bleibt man in kurzschrittigem Denken stecken. Lösungen sind nur vermeintliche solche:

Das Heil wird derzeit vor allem in der Digitalisierung des Lernens und Lehrens gesucht. Diese Notwendigkeit stelle ich nicht infrage, aber sie ist kein Allheilmittel zur Überwindung der Defizite des deutschen Schulsystems. Und sie trifft auch nicht das Grundproblem des Versagens: weder die Re-Produktion sozialer Ungleichheit auch durch das System von Schule noch die unzureichenden Lernbedingungen und Lernergebnisse im internationalen Vergleich.

Stattdessen kommen zu den bekannten Defiziten (Reduzierung der schulischen Bildung auf das am Markt Benötigte – Vermarktungslogik, Privatisierung in allen Bildungsbereichen – bei weitem nicht nur durch die wachsende Zahl der Privatschulen, Erweiterung des Einflusses diverser Lobbygruppen auf schulische Bildung – oft mit bestechenden Konzepten, hinter denen die Zwecke nicht mehr gesehen werden.) neue hinzu: Einige Fragen sind kaum gestellt worden und gehen schon wieder unter. Hier ein paar Beispiele. Zu befürchten ist z.B.,

  • Dass mit der Pandemie und den damit einhergehenden neuen Erfahrungen (Homeschooling) aus der Not der Versorgung mit ausreichendem Personal für alle Bildungsprozesse eine Tugend gemacht wird anstatt die Fehler zu beheben. Niemand spricht mehr von der Ausbildung von Lehr- und Betreuungskräften, Fachkräften für Schulsozialarbeit…
  • Hybrides Lernen: Lernen im Präsenzunterricht im Wechsel oder in Kombination mit dem Lernen zu Hause.
    • Was aber bedeutet das angesichts unterschiedlicher Lernvoraussetzungen?
    • Wie wird er Kontakt zu den Lehrenden gehalten? Oder werden Eltern wieder in Haftung genommen?
    • Welches Personal soll das digitale Arbeiten zu Hause begleiten, wo die Lehrkräfte schon für den Präsenzunterricht nicht ausreichen?
    • Wird die öffentliche Aufgabe damit nicht noch mehr in die private Zuständigkeit gedrängt?
  • Wo „hybride“ Lernformen verstetigt werden und dabei vor allem auf die Arbeit zu Hause gesetzt wird, werden Ganztagsschulen zur Disposition Denn: Wie vereinbart sich das mit den wachsenden Forderungen nach ganztägiger Bildung? Hat die Ganztagsschule schon wieder ausgedient? (Bertelsmann Studie: allein im Grundschulbereich sind Mehrkosten von 5,3 Mrd. € jährlich zu erwarten[1])
  • Wenn Präsenzunterricht in kleineren Lerngruppen absolviert wird oder werden muss, fehlt das Personal noch einmal mehr. Denn: Was wird mit den Lernenden in der Zeit, wo kein Präsenzunterricht stattfinden kann?
  • Da die vorhandenen Schulgebäude gar nicht für Lernen in kleineren Gruppen konzipiert sind, müsste in Schichten gearbeitet werden, was nicht nur personelle Konsequenzen hat. (oder man mietet die jetzt leerstehenden Hotels an – was auch nur eine Notlösung sein kann)
  • Individualisierung des Lernens, weniger Lernen im Gleichschritt, aber wie soll das gehen bei möglichst gleichem Lehrplan für alle?

Wir fordern: Schule muss eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe der öffentlichen Daseinsvorsorge sein und bleiben. Ihre Aufgabe ist vor allem eine solide Allgemeinbildung für alle.

Dafür sind die Bedingungen zu schaffen und alte Zöpfe zu hinterfragen! Die Schule nach Corona muss sich ändern!

  • Wir brauchen ein neues Verständnis von allgemeiner Bildung – jetzt erst recht!
  • Schleicher kritisiert das Lernen im Gleichschritt – aber wie soll das gehen bei dem alten Lehrplanverständnis.
  • Die ständigen Forderungen nach mehr Einheitlichkeit hindern massiv bei der notwendigen Reform.

Welche alten Zöpfe sollten wir hinterfragen? Wir müssen den Unterschied zwischen Vergleichbarkeit, Gleichwertigkeit, das Gleiche und Dasselbe begreifen. Die Forderung nach Vergleichbarkeit geht davon aus, dass Lernende überall das Gleiche lernen. Unter den Bedingungen zentraler Prüfungen bedeutet das aber, dass sie möglichst Dasselbe lernen sollen, damit der sichere Wissenserwerb abgeprüft werden kann. Eine Studie[2] soll belegen, dass Absolvent*innen mit Zentralabitur noch Jahre danach das Wissen reproduzieren können. Aber kann das das Ziel sein? Und welches Wissen? Auf der einen Seite wird nur für Prüfungen Gelerntes schnell wieder vergessen, aber was besonders gepaukt wurde merkt man sich u.U. besonders lange (persönliche Beispiele kann ich benennen) – aber ist das das Ziel? Und warum merkt man es sich? Die Gründe dafür sind sehr unterschiedlich und erfordern eine besondere Beziehung zum jeweilig gelernten Stoff… Vor allem merkt man sich, was man sich selbst erarbeitet hat oder/ und anderen (erfolgreich) erklärt hat.

Zitat Inge von Wangenheim:

„So wird es allmählich zur Gewohnheit, Wissen mit Bildung zu verwechseln.
Bildung aber ist das, was übrigbleibt, wenn das Wissen bereits überholt oder nicht mehr zur Hand [ist]. Der Kopf ist zum Denken da nicht zum Merken. Bildung ist folglich die Krone des Wissens, der Endzweck aller Lernbemühungen, dessen Verwirklichung nicht anbefohlen, nicht nach einem Plan in wenigen Jahren hergestellt werden kann.“ 
Inge von Wangenheim: Genosse Jemand und die Klassik , Gedanken eines Schriftstellers auf der Suche nach dem Erbe seiner Zeit. Halle/Leipzig 1981, S.45

Dasselbe lernen: Das geht schon dort nicht auf, wo es versucht wurde und wird, da Lehren und Lernen individuelle Prozesse sind und die Vielfalt des ständig zunehmenden Menschheitswissens nicht in den gleichen Unterrichtsstoff für die zehn, zwölf oder dreizehn Jahre Schulunterricht gepackt werden kann. Die Folge ist eine (enge, vermeintlich maßgebliche) Auswahl von Stoffen, an denen abgeprüft werden soll, ob alle das Gleiche wissen oder können. Das entspricht zunehmend weniger den Interessen Lernender und schränkt die Vielfalt der Angebote allgemeinbildender Schule erheblich ein. Es bildet auch nicht im Ansatz die Vielfalt der uns umgebenden Welt und ihrer Entwicklungsprobleme ab. Und es entspricht nicht der gesellschaftlichen Notwendigkeit allgemeiner Bildung.

Gleichzeitig ruft vor allem die Wirtschaftslobby, die Unterrichtsstoffe, also das in Schule zu vermittelnde Wissen darauf auszurichten, was für die Fitness auf dem Arbeitsmarkt gebraucht wird. Das wird verbunden mit der immer stärkeren Forderung nach besserer Berufsorientierung und meint, Grundlagen beruflicher Bildung schon in die allgemeinbildende Schule aufzunehmen (auch die Forderung nach polytechnischer Bildung wird diesem Paradigma unterworfen). Dies erscheint heute manchem ein Ausweg, aber: Damit geht eine Entwertung und Einengung allgemeiner Bildung einher. Weiteres wird in die private Initiative verlagert. Auch mit einer Kultivierung des Wechsels von Präsenzunterricht und Homeschooling ist zu erwarten, dass die sozialen Differenzen weiter verstärkt werden, dass die soziale Schere auseinandergeht.

Konsequenz: das Schulsystem muss verändert werden. Auch dazu sind alte Zöpfe zu hinterfragen. So zum Beispiel das mit der Abschlussvergabe verbundene Berechtigungswesen. Dies ist ein Zopf aus der Ständegesellschaft, nach der gymnasiale Bildung für den höheren Dienst Voraussetzung war. Das heißt es war (uns ist noch heute) ein Ausgrenzungsmechanismus, auch wenn er heute mehr und mehr Löcher bekommt. Mit der Vergabe von (formalen) Abschlüssen soll der Platz in der Gesellschaft zugewiesen werden. Heute heißt das – und so ist das fast in allen Schulgesetzen der Länder heute noch nachzulesen:

  • Hauptschulabschluss befähigt zur Aufnahme einer einfachen beruflichen Ausbildung.
  • Realschulabschluss befähigt zur Aufnahme einer anspruchsvolleren beruflichen Ausbildung.
  • Abitur befähigt zu Aufnahme eines Studiums.

Diese formalen Qualifikationen sind allerdings durch den EQR gedeckt, sollen europäische Vergleichbarkeit vorgaukeln. Aber die Schulsysteme in den europäischen Ländern sind so unterschiedlich konzipiert, dass dies eigentlich nicht geht. Vielmehr wird versucht, ein im Ursprung ständisches Denken in einen europäischen Vergleichskatalog zu stecken. Wozu aber braucht man formalisierte Abschlüsse in der allgemeinbildenden Schule, wenn nicht zur Zuweisung von Zugängen zu beruflicher Bildung? Schon die (umständlichere) Möglichkeit, Schulabschlüsse jeder Art nachholen zu können, belegt, dass die Zuweisung keine Aussage trifft über das Lern- und Leistungsvermögen von Menschen. (Ich will hier gar nicht mit prominenten Beispielen kommen, die in ihrer Schullaufbahn versagt haben und große Wissenschaftler (ich kenne nur Männer) geworden sind…

Wohin muss die Reise gehen?

Zunächst zentrale Forderung: ernst nehmen, dass Präsenzlernen nicht veraltet.

  1. Schule braucht Fachkräfte!

Also: Ausbilden, ausbilden, ausbilden!

Vielleicht muss man darüber nachdenken, dass auch Lehramtsausbildungen stärker drittmittelfähig sind…

  1. Lehrende und Lernende brauchen kleine Lerngruppen, damit Teamarbeit und kollaboratives Lernen nachhaltig wird. Lernen durch ausprobieren, Irrtum muss erlaubt sein.
  2. Bildung braucht Räume. Schulen müssen anders konzipiert werden. Inklusives Lernen ermöglichen. Vorschläge dafür sind vorhanden. (Montag-Stiftung, Architekt Otto Peters aus Magdeburg) Das heißt jetzt: Bei jedem Sanierungsprogramm entsprechende Forderungen aufmachen.
  3. Nicht nur Schulgebäude, auch außerschulische Lernorte sind nötig.

>>>Mobilität, Infrastruktur (Kultur, Sport, Freizeit) >>> Schulen öffnen, aber die staatliche Verantwortung nicht an außerschulische Akteure abgeben (wie beim Engagementlernen zum Beispiel).

  1. Eine zukunftsfähige Schule braucht im 21. Jahrhundert ein anderes Allgemeinbildungskonzept. Was kann das sein? Nicht mehr Lernen im Gleichschritt, Vergleichbares Lernen ja, aber nicht unbedingt Dasselbe. Exemplarisches Lernen, Lernstrategien erwerben.

Dazu etwas mehr: Oft wird dann auf Humboldt verwiesen und meist dabei an einen festen Kanon von Wissenstatbeständen gedacht. (Vgl. diverse Wissensshows – das muss man doch wissen!) Der Verweis auf Humboldt ist aber nur noch insofern wichtig, als es um das humboldtsche Prinzip geht: Allen eine (gleichwertige) allgemeine Bildung zu ermöglichen. Zwei Zitate:

  1. v. Humboldt: Bericht an König Friedrich Wilhelm III. Zitiert nach DAS HUMBOLDTSCHE BILDUNGSIDEAL von Andreas Beck 2015 Internetpräsenz Uni Koblenz

„Es gibt schlechterdings gewisse Kenntnisse, die allgemein sein müssen, und noch mehr eine gewisse Bildung der Gesinnung und des Charakters, die keinem fehlen darf. Jeder ist offenbar nur dann ein guter Handwerker, Kaufmann, Soldat und Geschäftsmann, wenn er an sich und ohne Hinsicht auf seinen besonderen Beruf ein guter, anständiger, seinem Stande nach aufgeklärter Mensch und Bürger ist. Gibt ihm der Schulunterricht, was hierfür erforderlich ist, so erwirbt er die besondere Fähigkeit seines Berufs nachher so leicht und behält immer die Freiheit, wie im Leben so oft geschieht, von einem zum anderen überzugehen.“ 

Oder im selben Beitrag an anderer Stelle:

„Der Zweck des Schulunterrichts ist die Übung der Fähigkeiten, und die Erwerbung der Kenntnisse, ohne welche wissenschaftliche Einsicht und Kunstfertigkeit unmöglich ist. Beide sollen durch ihn vorbereitet werden; der junge Mensch soll in Stand gesetzt werden, den Stoff, an welchen sich alles eigne Schaffen immer anschließen muss; teils schon jetzt wirklich sammeln, teils künftig nach Gefallen sammeln zu können, und die intellektuellmechanischen Kräfte auszubilden.“

Da steckt schon Vieles drin, was Forderung auch an eine moderne allgemeinbildende Schule sei kann. Da steckt kein Stoffkanon drin und auch keine Vereinseitigung auf Vermarktungsideologien. Was könnte Allgemeinbildung heute sein – in einer Zeit, in der sich das Wissen der Menschheit in rasantem Tempo erweitert? Was ist die Auswahl? Ist es ein fester Stoffkanon? – davon geht die bildungspolitische Realität heute aus – aber ist das zeitgemäß?

  1. Solide Grundbildung (Kulturtechniken, Werteverständnis, Weltverständnis)
  2. Exemplarisches Lernen
  3. Lernen im Team, Kooperation
  4. Lernen durch Neugier
  5. Lernen an epochaltypischen Schlüsselproblemen (Klafki)

Einschub Klafki: Zwei Dimensionen von Bildung: eine persönlichkeits- und demokratieorientierte und eine inhaltlich bildungsorientierte.

Zur inhaltlich bildungsorientierten Dimension zählt er drei Aspekte:

  1. Bildung für alle
  2. Bildung im Medium des Allgemeinen
  3. Bildung auf die ganze Persönlichkeit gerichtet (Allseitigkeit).

Sein Plädoyer: das in Schule zu erwerbende Wissen an epochaltypischen Schlüsselproblemen zu orientieren, Z.B.:

  • Friedensfrage
  • Umweltfrage
  • gesellschaftliche produzierte Ungleichheit
  • Gefahren und Möglichkeiten der Technik
  • zwischenmenschliche Beziehungen…

Das soll an exemplarischen Beispielen und ausgehend von der Erfahrungswelt der Lernenden erarbeitet werden. In der Konsequenz verbieten sich einheitliche Lehrpläne, fächerübergreifendes Arbeiten wird ebenso üblich wie die Konsistenz der Problemkreise über die jahrgangsstufen hinweg. Einschub:  Fotosysnthese: Grundprinzip sowie ökologische und soziale Nachhaltigkeit begreifen statt Zitronensäurezyklus auswendig lernen. Fächerübergreifendes Arbeiten. Ein Vorschlag: Bei der Behandlung Lateinamerikas könnte verbunden werden: Die Folgen der Abholzung des Regenwaldes (Bedeutung der Fotosynthese, Biodiversität…) mit der sozialen Entwicklung Lateinamerikas (von der kolonialen Eroberung bis zur ökonomischen Ausbeutung heute durch entwickelte Industriestaaten). (A. Brie: „Es gibt kein Chile, das nicht auch in unserem Lande liegt“) Die Lage der armen Bevölkerung, das Leben in den Favelas, die Situation der indigenen Bevölkerung…) die kulturellen Traditionen der lateinamerikanischen Bevölkerung – von der Literatur (Seghers „Das wirkliche Blau“ oder Lyrik Nerudas) bis zur Farbigkeit und der kraftvollen Ausstrahlung von Werken der Bildender Kunst (z.B. Diego Rivera, Mexikanische Volkskunst), Tanz und Tradition (Karneval)… die Reihe der möglichen Unterrichtsgegenstände ließe sich fortführen und kann der Kreativität der Lehrenden und Lernenden überlassen werden.

Dann aber verbieten sich auch einheitliche Prüfungen und wenn man schon auf Zertifikate nicht verzichten will, sind sie der Professionalität der Einzelschule und der Lehrenden zu übertragen. Wer nun meint, damit würden Vergleichbarkeit und Abrechenbarkeit leiden, der schaue auf die Debatten der letzten Jahre, wo genau das trotz Vergleichsarbeiten und einheitlicher Prüfungen nicht erreicht werden konnte. Dem Vertrauen in die Professionalität muss der Grundsatz folgen: Ein Abschluss ist ein Abschluss – er hat überall Gültigkeit. So kann man das übrigens noch in der KMK-Vereinbarung im §17(1) aus dem Jahre 1971 (1964 Hamburger Abkommen) lesen. Durch die ständigen Veränderungen in der Folge unterschiedlicher Regierungskonstellationen sind immer neue „Korsettstangen“ in die Regelungen eingeführt worden, deren Ziel es war, die ursprünglichen ausgrenzenden Bedingungen des gegliederten Schulsystems über den Weg der vermeintlichen Vergleichbarkeit (Einheitlichkeit) wieder durchzusetzen. Darum gehört zur Umgestaltung des Schulwesens unbedingt eine rigide Entbürokratisierung.

Die notwendigen Veränderungen in der inneren und äußeren Struktur der allgemeinbildenden Schule in Deutschland sind grundsätzlicher Natur und stellen althergebrachtes und tief verwurzeltes bildungspolitisches Denken infrage. Das gilt auch für weite Kreise linker Bildungspolitik und Pädagogik. Sicher wird es keinen Umsturz geben können, solange die gesellschaftliche Debatte zu mehr Einheitlichkeit und Justiziabilität geht – will sagen, solange mit der Auffassung von Bildung als Reproduktionsmaschine für gesellschaftliche Zuordnung – nicht aufgeräumt ist. Gerade darum aber müssen wir die Debatte jetzt und mit langem Atem führen und es wäre schön, aus der Wissenschaft Unterstützung zu erhalten.

 

[1] Klaus Klemm, Markus Sauerwein und Dirk Zorn Kosten der Anpassung bestehender

Ganztagsgrundschulen an die Vorgaben des angekündigten Rechtsanspruchs, Bertelsmann-Stiftung | Dezember 2019

[2] Quelle: https://www.iab-forum.de/das-bundesweite-zentralabitur-ein-richtiger-ansatz-aber-kein-allheil

mittel/

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